eine junge frau, ihr freund, eine einsame hütte im wald. und ein kind. in "mama" dreht es sich um kinderwünsche, schwangerschaften, kinder haben, die auswirkungen auf die frau, entfremdung, nähe, genügen und nicht genügen. verpackt ist das alles in eine form zwischen erzählung, schauergeschichte (eine immer wiederkehrende hündin als subtile gefahr, ein anonymer "wanderer", der wald als eigenständiges wesen) und surrealen psychogramm, geschehnisse, umgebungen und charaktere laufen so unrund und parallel, dass man als leser nicht mehr sagen kann, was am ende real ist, und was nicht. als mann ist es unmöglich, all diese facetten zu erfassen oder gar nachzuvollziehen, aber dennoch ist "mama" ein grandioses buch, das einen durcheinanderbringt, ohne die ersehnte auflösung zu bieten - die gibt es schlichtweg nicht, kann es nicht geben. kommt direkt in die top 3 des jahres.
wäre das buch ein spielfilm, wäre es eine deutsche buddy-komödie (und keine schlechte). die beiden freunde wenzel und killer kommen so langsam im leben an, bleiben dort aber nicht lang. killer wird vom blitz getroffen und stellt sich komplett neu auf, wenzel hat genug mit sich selbst zu tun, dann auch noch das, und zu allem überfluss tritt eine rätselhafte frau in goldenem kleid und mit tanzendem hund in ihr leben, die zusammen mit ihrer clique irgendeine art von imperium aufbaut. das alles ist zum glück nicht so banal beschrieben, wie es klingt, lässt am ende aber leider einige fäden mehr oder weniger zu sehr offen. dennoch: hat spaß gemacht für zwischendurch.
Gustave Flaubert - Madame Bovary Kam mit dem Software-Update meines Tolinos mit, hätte ich sonst wahrscheinlich nie gelesen. Hat mich gut unterhalten, auch wenn es den erwartbaren Gang eines Gesellschaftsromans des neunzehnten Jahrhunderts geht. Aber ich kenne jetzt die Figur und kann zukünftig Anspielungen besser verstehen.
Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer Super, einer seiner besten. Nicht, dass ich jetzt wahnsinnig viele gelesen hätte, aber diese Geschichte ist originell und hat mich immens beeindruckt. Letztlich geht es bei Murakami ja immer um Menschen, die sich finden und wieder verlieren.
John Irving - Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Die frühen Irvings sind irgendwie chaotischer als sein späteres Werk, auch mit einem derberen Humor, auf den ich mich erstmal einstellen musste. Dafür aber auch kürzer, nicht unbedingt ein Nachteil. Dieser Roman gehört nicht zu seinen Großtaten, gefiel mir aber um Längen besser als "Eine Schwergewichtsehe". Ein paar Mal musste ich herzlich lachen.
Mario Vargas Llosa - Das Fest des Ziegenbocks (2000)
Der Roman handelt von der geschlagene 31 Jahre währenden Diktatur des Rafael Léonidas Trujillo in der Dominikanischen Republik. Der "Ziegenbock" baute ab 1930 eine Terrorherrschaft auf, die Vorbild für viele repressive Systeme Lateinamerikas werden sollte; wie so was geht, zeigt der Roman zum Glück nicht. Wie es enden kann und welche Schrecken es birgt, das sehr wohl. Dafür setzt Vargas Llosa drei Erzählstimmen ein: Die Exilantin Urania Cabral, deren Vater ein hohes Tier unter Trujillo war und der keine Hemmungen hatte, dafür seine Tochter zu opfern; der Ziegenbock selbst, dessen Selbstgefälligkeit fast schon ekelhaft ist; und eine Gruppe von Verschwörern, die 1961 den Diktator erschießen und so dessen Schreckensherrschaft zu beenden hoffen. Das funktioniert prima, denn so bekommt die Leserschaft einen Eindruck davon, wie auch viele Jahre später - Urania kehrt erst nach 35 Jahren zum ersten Mal wieder in ihre Heimat zurück - die Diktatur die Leben der Dominikaner prägt. Manch einer sehnt sich nach den alten Zeiten zurück, weil es ja allen so gut ging; andere, wie Urania, wissen um die Schrecken, die Verschwundenen, die Folter, den Missbrauch von Macht und können nicht verstehen, wie man das vermissen kann. Der Roman ist heftig, denn was Trujillo getan hat, war heftig. Aber wen historische Zeugnisse interessieren und besonders die Geschichte Lateinamerikas, dem sei dieses großartige Buch sehr empfohlen.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
1933 geschrieben, aber - obacht - es kommt kein faschist drin vor. dennoch ist das buch nicht ohne inhalt, wird doch die geschichte einer jungen frau beschrieben, die - als frau ohne jede perspektive - in männerkleider wechselt und fürderhin als page in einem berliner nobelhotel arbeitet. der rest ist irgend etwas zwischen "emil und die detektive" und deutschem lustspiel, macht aber - wenn man erzählungen mit den eckdaten "berlin", "hotel" und "vorkriegszeit" mag - durchaus spaß. und darüber, warum eine frau ein anderes geschlecht vortäuschen muss, nur um nicht zu verelenden, darüber darf man dann auch gerne mal nachdenken.
Was für ein Prachtstück. Auch wieder ein Werk von Strunk, welches ich nahezu verschlungen habe. Seine Beobachtungsgabe, sein Schreibstil, der nahezu bildhafte Beschreibungen und nachvollziehbaren Empfindungen vermittelt, großartig. Da er sich dem Mann'schen Zauberberg hier ja in direkter und unmittelbarer Weise in die Nähe schreibt, bin ich neugierig geworden auf den originalen Zauberberg. Den werde ich mir wohl im Herbst einmal zu Gemüte führen. Empfehlenswerte Lektüre, die sowohl ernsthaft, angenehm ironisch, bisweilen (in erträglichem Maße) zynisch, bittersüß und tiefgründig unterhaltsam ist. Ein Buch wie eine andere Welt.
Zitat von kafkaktus im Beitrag #2372 Sally Rooney: Intermezzo Zwei Brüder , die keine besonders gute Beziehung zueinander haben, werden durch den Tod ihres Vaters mit sich und miteinander konfrontiert. Der ältere erfolgreicher Anwalt, der viel jüngere gerade fertig mit Physikstudium und Schachnerd. Rooney seziert wieder einmal zwischenmenschliche Beziehungsgeflechte zwischen tiefen, von Selbstreflexion geblendete Cahraktere und ihre sozialen Wirrungen. Wie immer super – vor allem sprachlich bisher ihr bester Roman. Bisher wird diese dialektische Versuchsanordnung noch nicht langweilig.
Gerade damit fertig geworden und es hat mir auch sehr gut gefallen. Generationsbeschreibungen kann Rooney wirklich gut. Ihre Beobachtungsgabe beeindruckt mich zudem immer wieder. Ohne, dass jetzt in "Intermezzo" sonderlich viel passiert, hat mich das auch auf knapp 500 Seiten in keinem Moment gelangweilt.
Ich ergänze mal das Buchcover, da es so schön aussieht:
Zitat von Mory im Beitrag #2525 Mario Vargas Llosa - Das Fest des Ziegenbocks (2000)
Bin da sehr gespalten.
"Tod in den Anden" mochte ich nicht sonderlich, den "Krieg am Ende der Welt" fand ich recht beeindruckend (obwohl der bereits von einem anderen Autoren zu einem Roman verarbeitet worden ist, was die Frage nach der Notwendigkeit stellt), bis dann am Ende diese widerliche und unerträgliche Vergewaltigungsszene kam, deren Intention er meiner Meinung nach latent als nachvollziehbar und gerechtfertigt darstellt. Ich war nicht really amused.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
inspiriert von friedmans vortrag am vergangenen samstag habe ich nach dem gady noch ein - dieses - sachbuch hinterhergeschoben, themenüberschneidungen gibt es natürlich, beide bücher geben ja impulse, wie man mit der zukunft umgehen sollte und kann. wo gadry aber durchaus informativ und radikal bis zur schmerzgrenze eindeutig war, habe ich nach dem lesen von "schlaraffenland" das gefühl: ja, weiß ich, und ja, ich bin mit gemeint und wir alle sind zu schläfrig. es ist halt eine allgemeine gesellschaftliche betrachtung und kein fachwissen, die hinter all dem steckt, das alles kann man lesen, weil es zutrifft, es ist aber am ende kaum mehr als ein abhaken der eigenen gedankenwelt. "schlaraffenland" lohnt sich eher für menschen, die noch immer an den ewigen ponyhof glauben, aber die werden den teufel tun, ihn sich kaputtmachen zu lassen.
Haben sie! Du müsstest mir mal sagen, wo Kerstins Hof ist. Ist vielleicht besser, das im Fall der Fälle zu wissen.
Die Titelgeschichte der Dunkelgräfin hat etwas märchenhaftes, das hat mir gut gefallen. Bin ja noch oldschool mit vorgelesenen Märchen aufgewachsen. Zombierkalypse könnte man auch als Basis für eine feste Ratgebersendung im TV/Netz hernehmen. So ein wenig im Geiste von Der 7. Sinn. Always be prepared! Und bei Melissa / Der lange Weg nach Hause (eigentlich ja immer wieder über das ganze Buch hinweg) kamen bei mir Erinnerungen an die Anthologien der beiden Jenses (Lossau & Schumacher) auf, was ein sehr gutes Zeichen ist. Hab die damals geliebt.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Aww, danke schön! Es freut mich, dass du gut unterhalten wurdest.
Die Dunkelgräfin ist keine reine Erfindung von mir - das ist nur meine Variante von "Wer könnte das gewesen sein, was ist wohl mit ihr passiert?" Mehr zu der Dame und ihrem mysteriösen Begleiter findet man hier. Die Geschichte an sich ist schon irgendwie märchenhaft.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Ein eloquenter Mann erleidet einen Schlaganfall, der ihn mit einer mechanischen Aphasie (er ist klar im Kopf, aber körperlich nicht mehr in der Lage zu sprechen) als Gefangener in seinem eigenen Körper zurückläßt. Hab ich vor dem Krankenhaus angefangen und jetzt endlich beendet. Ein sehr großartiges Buch, das aber nicht schön zu lesen ist, da es stellenweise echt wehtut; tatsächlich ging man auch 1981 lange noch nicht so offen mit Krankheiten um wie heute, so daß man die Situationen, in denen der Protagonist auf Verständnislosigkeit und Geringschätzung stößt, absolut nachvollziehen kann. In meiner besonderen Situation rannte es natürlich sowieso offene Scheunentüren ein; ich kam im Vergleich zwar noch glimpflich weg, weiß aber zumindest, was es heißt, in einem Körper zu leben, an dem einiges kaputt ist und der einem nicht mehr richtig gehorchen will.
Habe mittlerweile einiges von Lenz gelesen, und das ist so ziemlich das Beste; auch, wenn mir ausnahmslos keine der vorhandenen Figuren übermäßig sympathisch ist. Trotzdem finde ich in Ulrich Martens (abgesehen vom körperlichen Handicap) einiges von meinem früheren unsteten Leben und der Unzufriedenheit mit einem Status Quo wieder.
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(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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