Zitat von Lumich im Beitrag #207

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Um bei dem Beispiel zu bleiben: Inwiefern hätten die Deutschen in dieser Konstellation einen Vorteil, den sie auf Kosten ihrer vietnamesischen Nachbarn erlangt hätten? Ich, als Kunde, würde nämlich letztere wählen, weil ich denen mehr Kompetenz zutraue.

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Nun, was ich eigentlich meine ist, dass es im Bezug auf kulturelle Aneignung nicht darum gehen sollte, dass einer ein Vorrecht auf bestimmte Güter hat, die zur jeweils eigenen Kultur gezählt werden. Ein von Deutschen geführtes Restaurant mit vietnamesischer Küche ist ebenso legitim wie eins von VietnamesInnen oder vietnamesischen Deutschen geführtes. Wenn die beiden nebeneinanderliegen, liegt das gleiche Problem vor, wie wenn zwei nebeneinander einen Waschsalon eröffnen, unabhängig von Herkunft und Kultur. Wenn jemand irgendeinen Quatsch mit Zitronengras und Limette serviert, und das dann vietnamesisch nennt, und sein Restaurant mit klischeehaften Abbildungen versieht, die Bediensteten womöglich verkleidet und albern geschminkt servieren, hätte ich schon eher ein Problem, weil in diesem Fall eine Kultur verballhornt würde.

Ich bin gar nicht ganz sicher, ob ich der Argumentationskette bis ins letzte zustimme, aber die große Kritik an der cultural appropriation kommt ja nicht nur daher, dass es tendenziell lächerlich machende Stereotypisierung ist - wie im Falle von Black-, Red- und Yellow-Facing häufig der Fall. Unter der Vorgabe könnte man ja auch sagen, es sei gar kein Problem, wenn ein weißer Schauspieler sich als Winnetou verkleidet, solange der Film keine stereotypen Darstellungen beinhaltet sondern ein differenziertes Bild der Apachen zeichnet.

Über beleidigende Darstellungen hinaus beinhaltet die Kritik ja schon auch, dass Menschen aus ökonomisch benachteiligten Gruppen dadurch zum Teil die wenige Grundlage für wirtschaftliches Auskommen genommen wird, die sie oft haben. Das vietnamesische Restaurant war ein Beispiel dafür, der viel zitierte Afro-Friseursalon ist ein weiteres. Das mag im Einzelfall albern klingen, wenn es um einen Laden gibt, der Reisnudeln mit Salat verkauft, denn davon gibt es so unfassbar viele, dass ein weiteres nicht das Problem wäre. Aber oft genug werden solche Trends - besonders in den USA, von wo die Kritik ja kommt - von großen Konzernen aufgegriffen, die dann wiederum kleine Einzelkämpfer plattmachen. Wenn das kleine chinesische Restaurant aus der Nachbarschaft einem Panda Express weicht, dann ist das schon nicht so cool. Wem gehören die großen Firmen? In aller Regel fianziellen Eliten aus der Mehrheitsgesellschaft, die auch anders ihr Geld machen könnten, sich aber dafür entscheiden, in den ansonsten von marginalisierten Gruppen dominierten Markt einzusteigen. Es muss ja nicht gleich Panda-Express sein. Lass es eine langansässig-deutsch Geführte Firma sein, die in Deutschland in den Dönermarkt einsteigt.

Ich finde das alles nicht furchtbar und bin innerlich auch weit weg vom Verteufeln, aber ich kann die systemische Kritik schon verstehen (denn sie ist sehr praktisch orientiert und eben gar nicht so fundamental-kulturessenzialistisch). Der Nachteil dieses Exkurses ist in meiner Sicht, dass vor lauter fein justierten Antennen und weit ausgestreckten Fühlern manchmal das Maß verloren geht (macht eine Afro-Friseur*in wirklich den Markt kaputt, wenn es ansonsten so gut wie keine Afro-Friseur*innen in der Stadt gibt?).

Das mit den Dreadlocks ist so ein Grenzfall, bei dem ich irgendwie verstehen kann, dass man das blöd findet (wenn man vor allem den historischen Hintergrund in Amerika im Kopf hat), verstehe aber die Intensität der Empörung ehrlich gesagt nicht. Insgesamt täte uns als Gesellschaft glaube ich ein differenzierterer Blick auf das Thema gut.

Am Ende dieser abstrusen Überlegungen steht eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der (wenn auch zunächst nur normativ) nach rassistischen Kriterien determiniert wird, wer welches Unternehmen gründen oder führen und welchen Beruf ausüben, welche Kleidung und Frisur tragen und welche Kunst erschaffen darf. Juhu, wir begeben uns freiwillig wieder ins 13. Jahrhundert.
Schon die zugrundeliegende, identitätspolitische Aufteilung der Weltbevölkerung in vermeintlich "marginalisierte" und "ausbeuterische Kulturen" sowie das Konzept einer unabänderlichen Zugehörigkeit jeden Individums zu einer Gruppe per Geburt bzw. Abstammung ist ein rassistischer Ansatz mit antisemitischem Unterton, wobei dessen Grundmuster offenbar inzwischen einfach auf alle Menschen weißer Hautfarbe ausgedehnt wird.

Nun mach aber mal halblang.

Du musst dich von meinem Bitten nach einem differenzierteren Blick nicht so herausgefordert fühlen.

Zitat von Quork im Beitrag #215

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Nun mach aber mal halblang.

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Zitat von Quork im Beitrag #213

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Wenn das kleine chinesische Restaurant aus der Nachbarschaft einem Panda Express weicht, dann ist das schon nicht so cool. Wem gehören die großen Firmen? In aller Regel fianziellen Eliten aus der Mehrheitsgesellschaft, die auch anders ihr Geld machen könnten, sich aber dafür entscheiden, in den ansonsten von marginalisierten Gruppen dominierten Markt einzusteigen. Es muss ja nicht gleich Panda-Express sein. Lass es eine langansässig-deutsch Geführte Firma sein, die in Deutschland in den Dönermarkt einsteigt.

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Es ist eine Tatsache, dass viele Gruppen in unserer Gesellschaft aufgrund ihrer Abstammung marginalisiert werden. Dass es zu dieser Erfahrung keine Alternativen gibt, habe ich nie behauptet. Aber so zu tun als gäbe es diese Benachteiligungen nicht, hilft nicht dabei, sie zu beseitigen. Sie anzuerkennen zementiert sie nicht. Ebenso habe ich nie behauptet, dass es für vietnamesische Einwanderer fast keine andere Betätigung gäbe, als Imbissbetreiber zu sein. Tatsache ist aber auch hier wieder - und das gilt für andere Einwanderergruppen auch - dass die Gastronomie eine Branche ist, die vielen Menschen, die anderenfalls deutlich weniger Jobchancen hatten als du und ich, Einkommensmöglichkeiten eröffnet hat.

Es gibt extreme Auswüchse in dieser Debatte, wie es sie in den meisten derartigen Debatten gibt. In den allermeisten Fällen ist das aber nicht der Fall. Die Kritik im Ansatz bereits als Vorläufer der Segregation zu betrachten geht mir zehn Schritte zu weit.

Zitat von gnathonemus im Beitrag #218

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um das zu kritisieren, muss man aber nicht das fass der identitätspolitik aufmachen. das bringt die kapitalistische logik mit sich. das farben/tapeten/bastelgeschäft meiner eltern ist deshalb eingegangen, weil in der umgebung ein baumarkt nach dem anderen aufgemacht hat, die das zeugs halt billiger und bequemer anbieten konnten (oft auf kosten der qualität, aber das ist ja vielen egal) und da kommt kein mensch auf die idee, von diskriminierung zu sprechen. das sind ganz normale marktmechanismen und wenn dabei leute unter die räder kommen, die einen anderen kulturellen hintergrund haben, dass fällt das halt auf, hat aber prinzipiell nicht viel damit zu tun.

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ich tue ja nicht so, als ob es sie nicht gäbe, aber man sollte auch anerkennen, wo die eigentlichen ursachen liegen, also bei der verdrängung von kleinunternehmen durch ketten, konzerne, etc. - wie gesagt - in den marktmechanismen. das kapitalistische system kennt ja eigentlich keine moralischen kriterien. es geht um profitmaximierung. und wenn die mit minderwertigem vietnamesischen essen zu erreichen ist oder mit wandfarbe, die nichts taugt ist das genauso gut, wie wenn man sich mit wokeness schmückt.

oh, unsere antworten haben sich jetzt überschnitten.

Meine erste Nachricht war eine Antwort auf LFB, bezog sich also nicht auf deinen Text zur Marktlogik.

fuck, jetzt bin ich total verwirrt.

Wie wäre es, wenn wir uns darauf einigen, dass diese Debatte besser in den amerikanischen Kontext passt, aus dem sie geboren wurde, und ihre Transplantation ins deutsche System nur holprig funktioniert. So lässt sich diese verfahrene Diskussion meistens befrieden.