alle punkte, die du aufführst klingen absolut plausibel für mich. allerdings frage ich mich, wie korsika als unabhängiger staat überleben soll. da frage ich mich, ob es nicht sinnvoller wäre, für eine art der selbstverwaltung zu kämpfen, aber trotzdem teil frankreichs zu bleiben - also ein mehr an autonomie, anstatt einer völligen abtrennung. ich will aber offen einräumen, dass ich über korsika so gut wie nichts weiss.

ich bin nicht grundsätzlich gegen seperatistische bewegungen. im falle schottlands sehe ich da sehr vernünftige gründe, weit abseits von nationalchauvinistischen verblendungen, wie bspw. in katalonien, wo die forderungen und diskussionen immer schriller wurden und werden, so dass man sich in einer schlechten komödie wähnt.

danke für die zusammenfassung. ich hab davon tatsächlich nicht viel ahnung. deine haltung dazu finde ich nachvollziehbar und sehr vernünftig. ich bin auch kein großer freund von separatistischen bestrebungen, sehr wohl aber für gleichberechtigung in staaten mit mehreren bevölkerungsgruppen und wenn's sein muss auch autonomie und das scheint mir in diesem fall sehr sinnvoll zu sein. allerdings bin ich skeptisch bei so einem zentralistisch ausgerichteten staat wie frankreich - was sich wohl auch durch die haltung macrons zeigt. trotzdem hoffe ich, dass sich vielleicht in mittelbarer zukunft was tut.

zu katalonien: ohne auch da der große auskenner zu sein (aber dazu war ja in letzter zeit etwas mehr in den medien zu erfahren), habe ich den eindruck gewonnen, dass da ein durchaus fieserer nationalismus und auch arroganz gegenüber den ärmeren landesteilen spaniens à la lega nord in italien herrscht. außerdem haben die katalanen bereits einen autonomen status (wobei ich nicht weiß, wie umfassend - er scheint mir aber nicht unbeträchtlich). in dem fall sind mir die unabhängigkeitsbestrebungen eher unsympathisch.

hmm… also andorra überlebt als steueroase. auf malta ist geldwäsche ebenfalls ein wesentlicher wirtschaftsfaktor. zusätzlich müsste korsika neue im- und exportbedingungen aushandeln, und das nicht einfach mit der eu, sondern mit jedem einzelnen staat, mit dem sie handel treiben wollen. fraglich wie günstig sich das für korsika auszahlen würde. eine eu-mitgliedschaft würde ich als unmöglich einschätzen. dazu müssten alle eu-länder zustimmen, und nicht nur frankreich, sondern auch alle anderen länder, die abspaltungen befürchten, werden niemals zustimmen.

ich sehe ein, dass mit dem zentralistisch organisierten frankreich autonomierechte (ohne abspaltung) äusserst schwer durchzusetzen sind. allerdings, so lange wie korsika teil frankreichs ist, ist der klageweg vor europäischen gerichten möglich. wenn man sich dagegen die abspaltungsoption anschaut, muss man folgendes beachten: es gibt nur zwei arten der abspaltung. die eine ist einvernehmlich mit dem entlassenden staat (kommt so gut wie nie vor), die andere ist unvereinnehmlich. in diesem fall muss die region, die sich separieren möchte, sich von der internationalen gemeinschaft als staat anerkennen lassen. erfolgt das nicht, kann schlimmstenfalls die staatenlosigkeit die folge sein, und das ist definitiv schlimmer als der derzeitige zustand.

Interessante Aspekte, die du da aufzählst. Mir kommen dabei zwar die gleichen Probleme in den Sinn, wie Lumich und gnathonemus, aber am Ende ist das ganze Problem wohl vor allem die Frage, ob man einer Volksgruppe ermöglichen möchte, ihr eigenes Schicksal zu wählen, auch wenn es dann vielleicht nicht gut funktionieren sollte.

Sorry, werde OT, aber... zu Korsika fällt mir sogleich ein, dass eine meiner liebsten französischsprachigen Sängerinnen von dort kommt: Alizée.
Sie wurde ( wie auch Napoleon Bonaparte) in Ajaccio geboren und lebt derweil auch wieder dort bzw. betreibt mit ihrem Mann eine Tanzschule.


Alizée - Jen ai marre

Ich habe mich mit dem Thema bisher nur am Rande beschäftigt und kann deswegen sicherlich nicht auf einem guten Niveau mitdiskutieren. Dazu müsste ich mich erstmal ein bisschen einlesen im Netz.
Mein generelles Bauchgefühl ist allerdings, dass ich nicht verstehe, warum wir in einer schon ziemlich verstaatlichten Welt als Antwort auf Ungerechtigkeiten, fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl etc. noch mehr Staaten fordern.
Ich hätte ja an sich kein Problem mit dem Land Korsika oder dem Land Katalonien, aber würde mir für die Zukunft eher wünschen, dass es weniger dieser Einheiten gibt. Aber wie gesagt: das ist nur mein Grundgefühl und kein wirkliches Gegenargument.

Zitat King:
"Dabei fordert momentan niemand eine komplette Unabhängigkeit; es geht darum, über Grundsatzforderungen zu verhandeln, die eine Partei, die bei den Wahlen immerhin 56% aller abgegebenen Stimmen bei hoher Wahlbeteiligung erreicht hat, vertritt.
Die wären:
- eine gleichberechtigte Koexistenz der korsischen mit der französischen Sprache,
- ein Einwohnerstatut, um gegen die grassierende Grundstücksspekulation vorzugehen
- die Verlegung der korsischen Gefangenen [...] die allesamt auf dem Festland inhaftiert sind, nach Korsika, damit sie Besuch von ihren Familien erhalten können."

Das erscheint mir machbar und absolut nicht übertrieben. Warum nur sperrt sich Frankreich so vehement dagegen?

Da müsste ich dann jetzt eine wirklich unwissende Frage stellen: haben Separatisten nicht immer die Unabhängigkeit zum Ziel? Deswegen nennen sie sich ja so. Vielleicht reite ich da zu sehr auf dem Wort rum, aber für mich war das eigentlich immer das "große Ziel" dieser Bewegungen.

Wie gesagt: ich bin sehr unbelesen in diesem Bereich, finde es aber total spannend. Deswegen die Nachfrage.

Vorab: Eine wesentliche Errungenschaft des modernen Nationalstaates besteht ja gerade darin, verschiedene Volks- oder Religionsgruppen in einem Staatengebilde zu vereinen und mit gleichen Rechten und Pflichten auszustatten. Klingt für unsere europäischen Ohren banal (darum auch der schwere Stand der Nationalstaatsidee bei vielen Zeitgenossen, ich darf vermutlich einen Großteil des Forums dazu zählen), aber wer sich beispielsweise mal näher mit der ethnischen und religiösen Fragmentierung afrikanischer Krisenregionen beschäftigen durfte/musste und die meisten Kriege der letzten Jahrzehnte als Folge der Implosion von Nationalstaaten begreift, der weiß den Nutzen dieses Konzeptes wieder zu schätzen und sieht nicht ihre Überwindung, sondern ihre Stärkung als Weg in eine friedlichere und gerechtere Welt.
Dort wo ein Nationalstaat diese Pflicht aber nicht hinreichend erfüllt, z.B. aufgrund zu starker Zentralisierung oder einer eher unterdrückenden Minderheitenpolitik, da findet sich nur schwer ein Argument gegen entsprechende Unabhängigkeitbestrebungen. Dass eine solche in der entsprechenden nationalen Verfassungen nicht vorgesehen ist (das liegt offensichtlich in der Natur der Sache) oder gewisse Vereinbarungen innerhalb EU neu bestätigt werden müssten, das sind meines Erachtens kleinkarierte Gegenargumente, die einer staatlichen Unabhängigkeit in ihrer historischen Dimension (hach) nicht im Wege stehen sollten.
Zu Korsika im Speziellen: Ist die Sicht des geschätzten King möglicherweise etwas verklärt? Meines Wissens wird der Regionalhaushalt Korsikas seit Jahrzehnten zu einem nicht unwesentlichen Anteil von Frankreich getragen, wie auch in anderen Bereichen (Finanzausgleich, Sozialversicherungen etc.) eine beträchtliche faktische Bezuschussung der Insel durch das Festland stattfinden dürfte. Müsste ich im Detail auch noch mit Quellen belegen, ist aber mein Kenntnisstand. Abgesehen davon dürfte für Korsika das gleiche gelten, was mir ein Isländer mal für sein Land erläutert hat: "300.000 Einwohner sind sehr wenige, um einen kompletten Staat mit allen Institutionen und der Infrastruktur zu finanzieren. Aber wenn die Wirtschaft brummt oder irgendwo Geld hereinkommt, hat bei nur 300.000 Einwohnern direkt jeder was davon."
Warum sollte das also nicht funktionieren?

Religionsgruppen unterschreibe ich, aber die Integration verschiedener Volksgruppen gehörte sicherlich nicht zum Grundgedanken des ursprünglichen Nationalstaates (der Begriff Nation, der sich ja eben auf das Gemeinsame bezieht, wurde ziemlich häufig sogar synonym für Volk verwendet), sondern ist eine moderne Realität, mit der der Nationalstaat umzugehen lernen musste. Und eben Afrika zeigt ja, dass es keine nationalstaatliche Errungenschaft ist, unterschiedliche Gruppen zu befrieden, weil es genau dort nicht klappt. Das würde ich dann doch eher der Demokratie und/oder Republik im Allgemeinen zuschreiben.

Deshalb bezog ich mich ja auf "moderne Nationalstaaten" also die heutige Anwendung des Begriffs, in der historischen Betrachtung hast du natürlich recht. Gerade wenn man auf die in Folge des Kolonialismus entstandenen Nationalstaaten schaut (sowohl in Afrika als auch im nahen Osten), dann ist dieser integrative Charakter ja gerade das "revolutionäre" Merkmal selbiger, auch wenn dieser Umstand natürlich nicht ideell sondern aus der Not geboren war (am Reißbrett entstandene Grenzziehungen).
Bezüglich Afrikas fällt mein Urteil übrigens positiver aus, auch aufgrund der eigenen Erfahrung vor Ort (aber auch aufgrund des Familienanschlusses in Uganda). Da hat sich der Nationalstaat als Bezugsebene in den letzten Jahrzehnten nach und nach durchaus erfolgreich neben (bzw. sogar vor) der Ethnie, der Religionsgemeinschaft, der Familie etabliert, weit mehr als uns offenbar bewusst ist. Eigentlich hat sich jeder Afrikaner, den ich kennenlernen durfte, primär über seine Staatsangehörigkeit definiert (ok, waren natürlich viele Militärs, dadurch sicherlich nicht ganz repräsentativ) und in Mali berufen sich eigentlich alle am Friedensprozess beteiligten Gruppen als Zielsetzung auf den Erhalt Malis als einigende Nation vieler Volks- und Religionsgruppen. Da ist schon ein gewisser Nationalstolz (man sieht auch viele Flaggen im Straßenbild) vorhanden, den ich (ja sowieso) nicht als negativ empfunden habe, sondern der durchaus das Potential haben dürfte, einen Staatszerfall wie z.B. in Somalia zu verhindern.
Ok, führt aber jetzt vermutlich zu sehr von Korsika weg.

Okay, dann verstehe ich was du meinst. Führt vielleicht von Korsika weg, war aber trotzdem sehr interessant. :)