Was denn sonst?

Wie es aussieht, haben die Franzosen langsam wirklich keinen Bock mehr auf uns. Gut so:

Corse : on vous explique ce que signifie "aller jusqu'à l'autonomie"

Bürgerkriegsähnliche Zustände

Interessanterweise liest man in der hiesigen Presse rein gar nichts darüber (wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich das wirklich schlecht finden soll); das geht bereits seit dem Mordanschlag auf Yvan Colonna so und hat seit seinem Tod nicht aufgehört.
Da denkt man: Nachbarland, beliebtes Ferienziel, da wäre doch mal ein Hintergrundbericht fällig. Nix.

Stattdessen in der BNN ein launiger Reisebericht über Korsika mit Tips zum Wasserskifahren, Shopping und "Piana, das schönste Dorf Frankreichs". Nun denn. Am Puls der Zeit.

Ich weiß, das ist ein Randgruppenthema, aber ich bin mit soviel Gedanken und Erfahrungen zurückgekehrt, daß ich das mal loswerden muß (vielleicht auch, um meine Gedanken zu sortieren).
Das Heimatdorf meines Vaters, das sich im Inselinneren befindet, ist mittlerweile ein Fall für die Serie "Lost Places". Jede Rückkehr fällt deprimierender aus. Es befinden sich dort vielleicht noch zwanzig Leute im Sommer, und ganzjährig vielleicht drei oder vier Alte. In meiner Kindheit war das ein florierender Ort.

Ich habe sehr viele Gespräche über soziale und politische Themen geführt.
Das Problem ist einerseits das, was von außerhalb als liebenswürdige korsische Eigenart wahrgenommen wird, aber Einheimischen zunehmend auf den Geist geht; dringend notwendige Modernisierungen werden verschleppt oder bleiben ganz liegen, nach dem Motto "komme ich heut nicht, komm ich morgen".
Man kann sich öffnen und modernisieren, ohne seine Seele zu verkaufen; dazu gehört der Ausbau von Verkehrswegen, der schon seit Jahren geplant ist, aber nie durchgeführt wird. Dazu gehört der Ausbau und die Modernisierung der einzigen Eisenbahnstrecke.
Momentan ist die Situation diejenige, daß Korsika von Touristen überschwemmt wird (in der Hauptsaison über 4 Millionen!), daß die sich aber alle in fünf oder sechs Zentren ballen und die ganzen Bergdörfer und Orte im Inselinnern langsam an der ausgestreckten Hand verhungern, denn dorthin verirrt sich kein Mensch. Und wer dort noch wohnt, geht zumeist weg, weil die medizinische Versorgung genauso beschissen ist (als Ambulanz gibt es dort nur einen Hubschrauber) wie die Versorgung mit Lebensmitteln, da die ganzen Läden schließen.
Mittlerweile hat auch die Mafia wieder Fuß gefaßt und kontrolliert mit San Fiurenzu bereits wieder einen kompletten Ort im Norden; laut einem Freund von mir gibt es dort weder Kneipen, Handwerksbetriebe noch Bäckereien, die nicht komplett verseucht sind.
Und die Jugendlichen dort sind dermaßen frustriert von der ganzen Situation, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis die wieder die Waffe in die Hand nehmen; der militante Separatistenflügel hat sehr großen Zulauf, und soviele FLNC - Graffitti überall habe ich noch nie gesehen. Momentan ist da mächtig Druck auf dem Kessel, aber hierzulande wird man davon eh wieder nichts mitbekommen.

Wir kamen überein, daß es durchaus sinnvoll wäre, die Zahl der Touristen um mindestens die Hälfte zu reduzieren (aus Gründen des Umweltschutzes, der Nachhaltigkeit ... und weil es einfach bizarr ist, daß sich dauerhaft siebenmal mehr Menschen an einem Ort befinden, als eigentlich dort wohnen) und essentielle Verkehrswege so zu modernisieren und auszubauen, daß auch kleinere Dörfer und Ortschaften davon profitieren, statt komplett abgehängt einzugehen.
Letzten Endes profitiert halt nur der französische Staat, und solange bei dem die Einnahmen aus dem Tourismus auf Korsika stimmen, ist es dem herzlich egal, wie es bei uns aussieht, solange man in die Ballungszentren riesige Einkaufszentren französischer Ladenketten knallen kann; in Aiacciu stehen zwei Riesenblocks von Super U und Géant, gegen die das hiesige ECE - Center ein kleiner Laden ist. Und das in einer Stadt mit 70 000 Einwohnern, die aber im Sommer komplett überrannt wird.
Macron hat das schon toll hinbekommen; mit unseren vom Volk gewählten Vertretern in Paris spricht er generell nicht, stattdessen besucht er Korsika, verbietet dort korsische Fahnen während seines Besuchs und hält eine "Basta!" - Rede bezüglich der fast erreichten Zweisprachigkeit ("In Frankreich gibt es nur eine Sprache, und das ist französisch!").
Soweit zum gemeinsamen Finden einer politischen Lösung, die für beide Seiten akzeptabel ist.

Es ist einfach ein Konflikt, der nie ein Ende findet; zumindest ich werde es nicht mehr erleben.

Jep.

Zitat von Lumich im Beitrag #68

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Wenn ich lese, dass der Norden des Landes unter dem Einfluss von organisiertem Verbrechen zu leiden hat, scheint mir das eins der Probleme zu sein, die zuerst von innen heraus bekämpft werden müssen.

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Interessanter Artikel, hier mal mit DeepL übersetzt.
Bestätigt meine Eindrücke vom Mai, daß es mittlerweile wieder ziemlich gärt und die Spannungen mit Frankreich deutlich zunehmen. Einige der französischen Stimmen und Meinungen finde ich ausgewogen und versöhnlich, andere gehen garnicht.


Bastia
"IFF", "Français de merde", "Dégagez"... Die Inselbewohner scheinen dieser Wandliteratur wenig Bedeutung beizumessen, doch die Urlauber stellen sich Fragen oder sind empört. Bei einem Spaziergang durch die Straßen von Bastia berichten sie von ihren Reaktionen.

"Das war das Erste, was uns auffiel, als wir ankamen". Als Mathieu und Max im Bahnhof von Bastia aus dem Zug stiegen, hatten sie nicht damit gerechnet. An der Wand eines verlassenen Gebäudes befand sich ein riesiges gesprühtes Fresko mit korsischen Inschriften, die den 43-jährigen Pariser und seinen 15-jährigen Sohn, die auf der Insel Urlaub machten, aufhorchen ließen. "Es gibt Tags, die in korsischer Sprache geschrieben sind", stellt Max fest. "Ich bin neugierig, was sie bedeuten. Ich weiß nicht, ob sie antifranzösisch sind oder nicht."

Das vom Künstler Piombu gemalte Wandgemälde hat zweifellos eine politische Färbung. Indem es die Neugier der beiden Reisenden weckte, hatte es in gewisser Weise seinen Zweck erfüllt. Es enthält jedoch nichts Antifranzösisches. Im Gegensatz zu vielen anderen Inschriften, die die Straßen und öffentlichen Gebäude der Stadt "zieren".

Am Ende der Straße befindet sich der Place Saint-Nicolas. Das pulsierende Herz von Bastia, wo viele Touristen auf einer Terrasse zu Mittag essen. Auf dem Bücherkiosk, der von der Stadtverwaltung aufgestellt wurde, steht eine sehr unliterarische Inschrift: "Franzose, lese nicht, du bist dumm". Gaëtan und Pauline, beide Mitte zwanzig, sind vor einigen Tagen in die Stadt gekommen. Sehr schnell wurden die beiden Straßburger von der Anzahl dieser antifranzösischen Tags überwältigt. "Die gibt es überall in der Stadt", wunderten sie sich. "Wir haben sie zwar bemerkt, aber es hat uns nicht schockiert oder erschreckt. Im Gegenteil, man muss die Korsen, ihre Kultur, ihre Geschichte und ihre Lebensweise respektieren." Das Paar legt sogar noch einen drauf: "Um ehrlich zu sein, wundert es mich nicht, dass es Tags gegen uns gibt. Es gibt eine eindeutige Ablehnung und man muss sich die Frage nach dem Warum stellen".

Den Grund für diese Ablehnung, von der diese feindseligen Schmierereien zeugen, kennen viele andere Kontinentaleuropäer nicht. So wie Redouane und Lolita, ein Paar aus Nizza, das nicht versteht, warum diese Spannungen fortbestehen. Jedes Mal, wenn wir nach Korsika kommen, haben wir immer diese Befürchtung, dass hier etwas passieren könnte", gestehen sie. Aber am Ende läuft alles gut. Solange die Korsen uns nicht respektlos behandeln, ist das die Hauptsache." Aber nicht alle sind so verständnisvoll. Alex sitzt auf der Terrasse eines Cafés in der Rue Napoléon, einer belebten Straße im Stadtzentrum, und empört sich über den Schriftzug "Français dégagez", der an der Wand des gegenüberliegenden Gebäudes angebracht ist. "Es ist unanständig, solche Tags zu sehen", sagt der Tourist aus Clermont-Ferrand, während er an seinem Kaffee nippt. Die Korsen wollen um jeden Preis unabhängig sein, aber sie profitieren von den französischen Hilfen. Das ist beschämend."

Zwei andere Kundinnen, die nebenan am Tisch sitzen, beteiligen sich an der Diskussion. "Auch wir haben gerade dieses Tag gesehen und ich muss gestehen, dass ich es beunruhigend finde, wenn man bedenkt, dass die Korsen dank uns Touristen leben", erklärt Sothera, eine Urlauberin aus Paris. Ihre Freundin Sothy ist da ganz anderer Meinung: "Man sollte nicht überreagieren", meint sie. Wir vom Festland haben den Korsen viel zu verdanken. Sie haben ihr Blut für Frankreich geopfert".
Einige Meter weiter, am Eingang zum Alten Hafen, fotografiert sich eine Gruppe französischer Touristen, die sichtlich amüsiert sind, vor einer Mauer, die mit dem Tag durchgestrichen ist. "Oui vous êtes tous des Français de merde" (Ja, ihr seid alle Scheißfranzosen). Seitdem wir hier sind, haben wir nicht mehr das Gefühl, in Frankreich zu sein", sagt der 23-jährige Stéphane. Wir werden nicht gut aufgenommen, wir haben das Gefühl, zu stören oder zu viel zu sein." Seine Freundin Louane teilt das gleiche Gefühl: "Ich fühle mich unwohl. Ich spüre, dass es eine Feindseligkeit zwischen den Korsen und uns Touristen vom Festland gibt, und wenn ich dieses Tag sehe, fühle ich mich weder sicher noch willkommen." Lara, ein anderes Mädchen aus der Gruppe, zeigt jedoch mehr Distanz: "Wenn wir Korsen treffen, wollen wir ihnen Fragen stellen, aber sie wollen uns nicht antworten", bedauert sie. In der Schule wird uns nichts über die Geschichte Korsikas und die damaligen Beziehungen zwischen Franzosen und Korsen erzählt. Vielleicht liegt es auch an uns, uns um dieses Verständnis zu bemühen."

Trotz laufender Bauarbeiten zieht der Alte Hafen weiterhin Touristen an. Am Südkai wimmelt es von Tags, darunter auch einige "I Francesi fora". Ich verstehe diese Ablehnung nicht, da die Korsen hier nicht zu Hause sind", sagt Pascal, ein 50-Jähriger aus dem Norden. Ich als Franzose befinde mich in erobertem Land, ob es ihnen nun gefällt oder nicht".

Provokation? Unkenntnis der Geschichte? Folge eines schlechten Empfangs? Für einige Besucher sind die Tags nur die Illustration eines umfassenderen Unbehagens. Im Café der Zitadelle gibt eine Gruppe von vier Marseillerinnen Auskunft. "Man spricht schlecht mit uns, das macht uns keine Lust, auf die Leute zuzugehen und uns für Korsika zu interessieren", sagt Maude traurig. Ihre Freundin Sephora ergänzt: "Wenn wir anderen französischen Touristen begegnen, haben wir alle das gleiche Gefühl über die Korsen", versichert sie. "Auch wenn die Insel erhaben ist, verdirbt es uns den Urlaub, wenn wir an einem Ort nicht herzlich willkommen geheißen werden. Wenn man die antifranzösischen Tags sieht, macht das die Sache nicht besser."

https://www.corsematin.com/article/socie...n2Ezya8MXF-8_M4

Lese momentan auch viel über Massentourismus, speziell in Europa. Interessantes Thema, bei dem es sehr viel Aspekte und Zusammenhänge aufzudröseln gibt.

Es kommt mal wieder Bewegung in die Sache:

Der französische Präsident schlug am Donnerstag, den 28. September, vor, dass "eine neue Etappe" erreicht werden solle, indem "Korsika in die französische Verfassung aufgenommen" und der Insel "eine Autonomie" gewährt werde, die "weder gegen den Staat noch ohne den Staat" sei. "Der Status quo wäre unser aller Scheitern", versicherte Emmanuel Macron, als er vor der Versammlung von Korsika sprach, und hoffte, dass diese "neue institutionelle Etappe" es ermöglichen werde, "Korsika vollständig in der Republik zu verankern und die Einzigartigkeit seiner Insellage im Mittelmeer und seine Beziehung zur Welt anzuerkennen". Er gab den politischen Fraktionen und der Versammlung von Korsika "6 Monate" Zeit, um mit der Regierung eine "Vereinbarung" zu treffen, die zu einem "Verfassungs- und Organtext" zur Änderung des Status von Korsika führen würde.

Macron ist schon ein Fuchs; als Bonbon eine Teilautonomie ohne legislative Gewalt, die die kulturelle Eigenständigkeit erhalten soll und Korsika gleichzeitig fester an Frankreich bindet. Ein geschickter taktischer Zug, das muß man ihm lassen; das bringt ihm auch ordentlich Zustimmung bei der Rechten ein.

Es lief aber so ab:

Die Abgeordneten der Assemblea di Corsica wurden heute Morgen in ihren eigenen Plenarsaal gerufen, um als bloße Zuschauer einer Rede des französischen Präsidenten beizuwohnen, ohne die Möglichkeit, sich auszutauschen oder das Wort zu ergreifen.
Dieser Rede gingen Ankündigungen direkt aus dem Elysée-Palast voraus, die die Logik der (blau-weiß-)roten Linien bestätigen, die de facto die Berücksichtigung des Kerns des nationalen Kampfes und der vom korsischen Volk seit nunmehr mehreren Jahren konstant demokratisch zum Ausdruck gebrachten Bestrebungen ausschließen. Ausdrücklich betrachtet Paris also insbesondere die Anerkennung des korsischen Volkes, den Status der Ko-Offizialität unserer Sprache, den Aufenthaltsstatus und die Korsisierung der Arbeitsplätze als Forderungen, die sich außerhalb seines "republikanischen Rahmens" befinden. Darüber hinaus bedeutet Paris eindeutig, dass das Niveau der Befugnisse, die Korsika potenziell übertragen werden könnten, auf dem Niveau einer einfachen Dezentralisierung liegt, wie sie von der Rechten im französischen Senat explizit genannt wird.

Also mal wieder ein Lavieren, um in alle Richtungen den Ball flachzuhalten.

Und komplett unbemerkt von den hiesigen Medien ist wieder die Hölle los. Die FLNC ist wieder da. Nach meinem letzten Besuch überrascht mich das garnicht.

FLNC: 27 Bombenanschläge in einer Nacht


Wie erwartet wurde die Zahl der Anschläge nach der von der FLNC geforderten "Nuit bleue" in der Nacht von Sonntag auf Montag nach oben korrigiert.

Bisher wurden 27 Anschläge gezählt, 15 in Corse-du-Sud und 12 in Haute-Corse.

In Corse-du-Sud wurde ein öffentliches Gebäude in Aiacciu getroffen, zwei Wohnhäuser und ein Zweitwohnsitz in Alata und Villanova, ein Zweitwohnsitz in Vicu, Coti è Chjavari, Vighjaneddu, zwei Zweitwohnsitze in Lecci. Aber auch zwei im Bau befindliche Häuser in Ulmetu, zwei weitere in Tavacu und Tavera, eines in Bastilicaccia und schließlich eine Immobilienagentur in Pitrusedda.

In Haute-Corse sind folgende Gebäude betroffen: zwei Zweitwohnsitze in Ghisunaccia, vier weitere in Brandu, einer in Santa Riparata du Balagna, aber auch zwei im Bau befindliche Villen in Santa Lucia di Moriani, zwei weitere in I Fulelli und schließlich eine in Borgu.

Diese Bilanz inur vorläufig. Weitere Anschläge könnten heute oder sogar in den nächsten Tagen aufgedeckt werden, da die FLNC in ihrem Bekennerschreiben keine genaue Liste der betroffenen Ziele aufgestellt hat.

Die nationale Antiterrorismus-Staatsanwaltschaft in Paris hat die Ermittlungen übernommen.

Ich war in den letzten zwanzig Jahren achtmal auf Korsika, habe dort Freunde und Familie und beschäftige mich schon seit langem mit korsischer Geschichte und Politik; und die Eindrücke meines letzten Aufenthalts im Mai habe ich hier auch wiedergegeben. Ich bekomme auch viel über korsische Facebookgruppen mit.
Darum maße ich mir an, das für Quatsch zu halten, ohne jemand persönlich zunahetreten zu wollen.