Zitat von LFB im Beitrag #12Aber wenn die Wirtschaft brummt oder irgendwo Geld hereinkommt, hat bei nur 300.000 Einwohnern direkt jeder was davon." Warum sollte das also nicht funktionieren?
Weil auf Korsika, außer dem Tourismus, nichts brummt. Natürlich könnte ein unabhängiges Korsika in einen Niedrigsteuerwettbewerb eintreten und ein paar Briefkasten Firmenstandorte anwerben, bringt aber dem "gemeinen Korsen" nichts. Die drei Punkte, die Mory genannt hat, da gehe ich mit, aber ein eigenständiges Land Korsika, halte ich für völligen Quark. Korsika hängt jetzt schon am Tropf von Frankreich, an welchen Tropf will es in der Eigenständigkeit hängen?
Ich schreibe sicher nochmal ausführlicher was, Du hast meine Position ja schon angedeutet. Danke für Deinen interessanten Beitrag jedenfalls.
Gegen eine gewisse Autonomie, gleichberechtigte Sprache, etc habe natürlich auch ich nichts. Bei solchen Aussagen fühle ich mich aber zb immer sehr unwohl:
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #1Abgesehen davon gibt es 1,5 Millionen (!) korsische und korsischstämmige Menschen, die nicht auf der Insel leben und die bei dem ach so aussagekräftigen Unabhängigkeitsreferendum Mitte der 90er komplett ignoriert wurden.
Sollen über den Status von Deutschland dann "deutschstämmige" Menschen in aller Welt abstimmen? Über Fragen, die das Leben heute im Sudetenland betreffen, die Sudetendeutschen in x-ter Generation? Oder was meinst Du damit, dass sie ignoriert wurden?
Zitat von zickzack im Beitrag #16 Weil auf Korsika, außer dem Tourismus, nichts brummt. Natürlich könnte ein unabhängiges Korsika in einen Niedrigsteuerwettbewerb eintreten und ein paar Briefkasten Firmenstandorte anwerben, bringt aber dem "gemeinen Korsen" nichts. Die drei Punkte, die Mory genannt hat, da gehe ich mit, aber ein eigenständiges Land Korsika, halte ich für völligen Quark. Korsika hängt jetzt schon am Tropf von Frankreich, an welchen Tropf will es in der Eigenständigkeit hängen?
Stimmt schon, als Industriestandort tun sich Inseln ja beispielsweise aufgrund der Transportkosten immer schwer, Bodenschätze sind vermutlich auch nicht viele vorhanden.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #17Ich schreibe sicher nochmal ausführlicher was, Du hast meine Position ja schon angedeutet. Danke für Deinen interessanten Beitrag jedenfalls.
Gegen eine gewisse Autonomie, gleichberechtigte Sprache, etc habe natürlich auch ich nichts. Bei solchen Aussagen fühle ich mich aber zb immer sehr unwohl:
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #1Abgesehen davon gibt es 1,5 Millionen (!) korsische und korsischstämmige Menschen, die nicht auf der Insel leben und die bei dem ach so aussagekräftigen Unabhängigkeitsreferendum Mitte der 90er komplett ignoriert wurden.
Sollen über den Status von Deutschland dann "deutschstämmige" Menschen in aller Welt abstimmen? Über Fragen, die das Leben heute im Sudetenland betreffen, die Sudetendeutschen in x-ter Generation? Oder was meinst Du damit, dass sie ignoriert wurden?
So komisch das auch klingt, aber in etwa so funktioniert unser Staatsbürgerschaftsrecht. Als eins der wenigen Länder weltweit gibt es hier noch das Prinzip der Blutsabstammung, weshalb die sogenannten Russlanddeutschen ein Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, kann natürlich auch vom Ausland aus an deutschen Wahlen teilnehmen.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #17 Sollen über den Status von Deutschland dann "deutschstämmige" Menschen in aller Welt abstimmen? Über Fragen, die das Leben heute im Sudetenland betreffen, die Sudetendeutschen in x-ter Generation? Oder was meinst Du damit, dass sie ignoriert wurden?
Ich meine damit, daß mein Vater beispielsweise zu jeder Kommunalwahl eine Benachrichtigung und Unterlagen erhielt, nur zum Referendum nicht. Man dürfte erwarten, daß Leute, die auf der Insel geboren und aufgewachsen sind, gegen einen Nachweis die Berechtigung erhalten sollten, an diesem Referendum teilzunehmen bzw. sich registrieren zu lassen. Stattdessen wurde das nur mit den momentanen Bewohnern gemacht, und bei einem guten Teil Festlandsfranzosen auf Korsika ist das Ergebnis von 60% (oder 62, irgendwas um den Dreh) nicht wirklich spektakulär. Berlin hat die größte türkische Gemeinde außerhalb der Türkei. Das wäre in etwas so, als würde man dort eine Abstimmung durchführen, ob es offiziell als türkische Enklave angesehen werden sollte und nur die Leute ein Stimmrecht hätten, die momentan ihren Erstwohnsitz dort haben. Blöder Vergleich, aber es geht ums Prinzip.
Ich freue mich über den regen Austausch und werde mich wieder ausführlicher äußern, muß aber jetzt zur Nachtschicht. Danke für das angenehme Diskussionsklima ohne irgendwelche Nationalismuskeulen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
Für mich ist das Thema Nationalstaat speziell in Europa (bzw. auf dem europäischen Kontinent) ziemlich überhöht, gerade wenn man sich die ziemlich kriegerische Geschichte des Kontinents ansieht. Denn da haben sich die Staatsgrenzen früher ja praktisch alle paar Jahre geändert, je nachdem wer wann welchen Krieg gerade verloren oder gewonnen hatte. Von daher sind auch die heute gültigen Staatsgrenzen praktisch willkürlich gezogen, ohne Rücksicht auf Regionen oder "Völker".
Ich komme aus einem Dorf, dass etwa 10 km von der Staatsgrenze zu Österreich liegt. Die Menschen, die jenseits dieser Staatsgrenze leben, sind mit mir kulturell und sprachlich eng verwandt, aber per Definition Ausländer. Rheinländer, Hanseaten oder Berliner, mit denen mich in dieser Hinsicht deutlich weniger verbindet, laut dieser Definition aber nicht. Das hat für mich keine Logik, entsprechend sehe ich persönlich das Thema Staatsangehörigkeit emotionslos bis desinteressiert.
Ich erkenne aber an, dass es Fälle gibt wo das begründet anders ist. Eine Insel setzt nun mal natürliche Grenzen, und selbst ohne diese kann ein Volk auch einen gewissen Stolz entwickeln. Wenn es dann von einer als fremd empfundenen Stelle regiert wird und es da (womöglich auch nur gefühlte) Ungerechtigkeiten gibt, kann das schon mal als demütigend empfunden werden. Da kann ich Ablösungsbestrebungen auch durchaus nachvollziehen, und da wäre von Seiten einer zentralen Regierung auch ein gewisses Fingerspitzengefühl gefragt.
Ein fatales Beispiel ist hier Katalonien. Mit deren Separatismus sympathisiere ich ausdrücklich nicht, ich habe den Eindruck dass es da eher ums Geld geht, aber die Eskalation geht zum guten Teil auch aufs Konto des spanischen Nationalisten Rajoy. Es gab nämlich schon ein fertig ausgehandeltes, weitergehendes Statusabkommen, das Rajoy (noch vor seiner Zeit als Regierungschef) per Verfassungsklage zu Fall gebracht hat. Ansonsten wäre das Thema Abspaltung nie ein echtes geworden, die Katalanen sind ja beileibe kein unterdrücktes Volk wie die Kurden oder die Palästinenser.
Beim Them Korsika geht es mir wie den meisten hier, da fehlt mir einfach das Wissen. Umso interessanter, wenn das mal aus erster Hand dargelegt wird.
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Zitat von CobraBora im Beitrag #21Ein fatales Beispiel ist hier Katalonien. Mit deren Separatismus sympathisiere ich ausdrücklich nicht, ich habe den Eindruck dass es da eher ums Geld geht, aber die Eskalation geht zum guten Teil auch aufs Konto des spanischen Nationalisten Rajoy. Es gab nämlich schon ein fertig ausgehandeltes, weitergehendes Statusabkommen, das Rajoy (noch vor seiner Zeit als Regierungschef) per Verfassungsklage zu Fall gebracht hat. Ansonsten wäre das Thema Abspaltung nie ein echtes geworden, die Katalanen sind ja beileibe kein unterdrücktes Volk wie die Kurden oder die Palästinenser.
ohne den anschein erwecken zu wollen, rajoy zu verteidigen (nichts läge mir ferner), ist das problem noch komplexer. eine nennenswerte komponente wäre, dass puigdemont ein veritables interesse hatte, seine schwarzgeldkonten zu vertuschen, deren aufdeckung durch ein bankenabkommen mit andorra kurz bevor stand. dieses bankabkommen ist vergleichbar mit dem, welches zuvor mit der schweiz abgeschlossen wurde, was deren bankgeheimnis lockerte.
ähnlich wie beim brexit wurde hier eine medienschlacht mit gezielten desinformationen geführt. das gewaltsame verhindern eines referendums durch die guardia civil (die von general franco ins leben gerufen wurde - wasser auf die mühlen der gegnerischen propagandisten), war das denkbar schlechteste signal. auf der einen seite war dieses referendum klar illegal. auf der anderen seite hätte man die abstimmung einfach gewähren lassen können, ohne das ergebnis als bindend anzuerkennen. es ist nicht einmal unwahrscheinlich, dass eine mehrheit gegen die abspaltung gestimmt hätte. über die jahre sind in umfragen die befürworter einer abspaltung nie wesentlich über 40% gekommen. die situation wäre in diesem fall jetzt eine völlig andere.
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Ich komme in der Diskussion um neue Staatenbildung in Europa - egal ob Katalonien, Schottland oder Korsika das Thema sind - nicht umhin, über nicht national-spezifische Gründe für diese Tendenz nachzudenken, sich vom Nationalstaatszusammenhang zu verabschieden. Wahrscheinlich liegt es unter anderem auch daran, dass es ja darüber das noch größere Konstrukt EU gibt, das bereits viel regelt, was früher Nationalstaaten übernommen hätten. Die Abgabe von Kompetenzen der Nationalregierungen an Europa hat wohl auch zur Folge, dass die nationalen Regierungen für manche Regionen zunehmend als eine tendenziell unnötige Zwischenebene der Machtverteilung funktionieren. Der Staatenzusammenhang mit einem Restspanien oder Restgroßbritannien oder Restfrankreich muss angesichts der Zugehörigkeit zum noch größeren Konstrukt zwangsläufig irgendwie arbiträr erscheinen. Denn was Cobra schildert, gilt ja auch für viele andere Nationen: Was verbindet den Fast-Österreicher stärker mit Berlin, als mit dem Dorf auf der anderen Seite der Grenze? Wo doch hier wie dort alle Europäer sind. Das lässt sich natürlich in der Realität nur bis zu einem gewissen Grad durchhalten, denn ganz unnütz oder folgenlos sind ja Nationalregierungen weiterhin nicht. Doch ich sehe schon ein wenig die Sinnhaftigkeit dieser speziellen Gruppierungen der Kleinvölkchen schwanken. Den Schutz, den die Zugehörigkeit zu einem größeren Staat auf vielen Ebenen bringt, bietet ja gefühlt auch schon die EU. Die Crux an der Sache ist dann wohl, dass die EU doch ziemlich stark von den Nationalregierungen beeinflusst ist und "Abtrünnige" nicht mit offnene Armen empfangen wird, und dass solche Separationsbestrebungen in der öffentlichen Wahrnehmung an der Idee des Zusammenhalts in der EU zu rütteln scheint, obwohl sie doch eigentlich als Vertrauensbeweis in eben diesen Verbund EU verstanden werden müssten.
Ich glaube, gäbe es die EU nicht, kämen deutlich weniger Regionen auf die Idee, dass es in der heutigen Zeit und unserer derzeitigen weltpolitischen Lage besonders klug wäre, sich vom angestammten Nationalstaat zu verabschieden. Dass die Abkehr vom Nationalstaat aber in der realen Umsetzung auch die Abkehr von der EU bedeuten würde, scheint in der emotionalen Reaktion auf solche Abspaltungsideen immer erst als mahnender Nachklapp mitgedacht zu werden, ganz so, als sei es eine Nebensache und nicht der Knackpunkt, der es ist.
„Separatismus“ gibt es im Großen und im Kleinen. Dies hat sich bei der deutschen Gemeindereform in den 70ern gezeigt. Da wurden einzelne Dörfer, die sich zuvor teils voneinander etwas abgegrenzt hatten, zu einer Stadt zusammengefügt. Aus den Dörfern X und Y wurde dann ein „Z-Stadt-X“ und „Z-Stadt-Y“. Mit der Zeit kam es zu mehr Zusammenführungen und „Zentralisierungen“ (Rathaus, Feuerwehr, Polizei, etc). Hinzu kam in meiner Region – bedingt durch den Braunkohleabbau – der radikale Fortfall kompletter Dörfer und deren finanziell geförderter Neuaufbau im Bereich schon bestehender Stadtbereiche. Ein „Separatismus“ würde bedeuten, dass sich etwa Stadtteile wieder stärker voneinander abgrenzen. Dies ist ja kulturell betrachtet teils auch sinnvoll – wenn es etwa um dörfliche Traditionen geht. In anderen Fällen wird es schwieriger.
In Korsika leben etwa so viele Menschen wie in Bielefeld; es sind nur rund 0,5 % der französischen Bevölkerung. Korsika ist seit über 250 Jahren, zumindest aber seit über 200 Jahren ein Teil von Frankreich. Man sollte bedenken, dass es auf Korsika Probleme gab und gibt: im letzten Jahrhundert fehlte dort fast komplett eine industrielle Neuorientierung; gefolgt von einem wirtschaftlichen Niedergang und politischen Unruhen. Zudem wurden viele Algerier-Franzosen dort im Süden mit französischer Hilfe neu angesiedelt. Es kam zu Konflikten der Korsen mit den neuen Siedlern und auch der von Frankreich aus gesteuerte ansteigende Tourismus sorgte für böses Blut. Seit den 60er Jahren gibt es auf Korsika daher auch nationalistisch-separatistische Bewegungen und die FLNC (Front de Libération Nationale de la Corse) operierte seitdem auch mit Bombenterror.
In der Gesamtdiskussion wird es somit schwierig. Denn Separatismus bedeutet ja auch, sich von etwas loslösen zu wollen und eben nicht, sich mit etwas weiter verbinden zu wollen. Sich etwa für den Erhalt der Sprache und Kultur einzusetzen, kann man auch als „Vermeidung von Überfremdung“ durch andere Sprachen oder Kulturen interpretieren. Auch der Kampf gegen Neuansiedler mag manchen im Hier und Jetzt gar an das „Abblocken von Flüchtlingsansiedlungen“ erinnern. „Nationale Gedanken“ sind ja mitunter darauf aufgebaut, ein Konstrukt als irgendwie erhaltenswert in den Vordergrund zu stellen, das sich aber eigentlich ohnehin im ständigen Wandel befindet.
Der Blick etwa auf den Elsass ist hier interessant: um 1918 waren dort 87,2 % der Bevölkerung als deutsche Muttersprachler registriert. Es gab auch dort Bestrebungen nach einer regionalen Autonomie innerhalb Frankreichs. Aber die französische Verwaltung ging dazu über, die Region an die französische Sprache und Kultur zu assimilieren. Deutsch oder Elsässisch zu sprechen war in der Öffentlichkeit verpönt und an dortigen Schulen bis in die 1970er Jahre nicht erlaubt. Es gab seitdem eine Autonomiebewegung mit Forderung nach Erhalt der Zweisprachigkeit. Im Elsass ist heute aber ausschließlich Französisch die Amts- und Schulsprache. 1997 gaben noch 63% der dortigen Bevölkerung an, Elsässisch zu sprechen, 2012 waren es nur noch 43 %. Seit dem Oktober 2016 ist die Region Elsass (Alsace) allerdings Geschichte: der Elsass wurde teils unter Protesten aus der Bevölkerung mit den Regionen Lothringen und Champagne-Ardenne zur neuen Region Grand Est fusioniert. Eine Region Elsass gibt es seitdem in Frankreich nicht mehr.
Ob das Elsass jetzt unbedingt als Beispiel dafür dient, Autonomiebestrebungen argumentativ zu entkräften? Die dortige Sprachpolitik einer gezielten Verdrängung des seit Jahrhunderten gesprochenen Dialekts durch das Französische sowie die anschließende administrative Auflösung der Region können ja (aus der Sicht eines Katalanen oder Korsen) durchaus als abschreckendes Beispiel dafür gesehen werden, was passiert, wenn man sich nicht rechtzeitig weitgehende Automomierechte oder die Unabhängigkeit erkämpft.
Ein kurzer Einwurf (dann muß ich nochmal ins Bett): der nationalstaatliche Zusammenhang ist bei uns allein aus dem Grund nicht gegeben, da wir weder geographisch noch kulturell jemals ein Teil von Frankreich waren. Ich würde diesen zumindest anerkennen, wenn wir zumindest formell Italiener wären, was zumindest kulturell halbwegs passen würde, da bei uns auch lange genug die Genueser saßen. Doch die hatten auch Mühe, uns unter Kontrolle zu bringen.
Um mal kurz Wikipedia zu zitieren:
"1755 wurde die Unabhängigkeit ausgerufen. Unter Führung von Pasquale Paoli, der als Babbu di a Patria („Vater des Vaterlandes“) verehrt wird, schufen die Korsen eine demokratische Verfassung und ein relativ fortschrittliches Staatswesen. Die Verfassung Korsikas 1755 war die erste Verfassung im Zeitalter der Aufklärung (vor den Verfassungen von Polen 1791 und Frankreich 1791). Daraufhin verkaufte Genua die Insel an Frankreich, das 1769 die korsischen Truppen in der Schlacht bei Ponte Nuovo besiegte. Korsika ist seitdem – abgesehen von einem kurzen Zeitraum im Verlauf der Französischen Revolution, als die Insel zu England gehörte – französisches Staatsgebiet."
Das heißt: wir wurden über unsere Köpfe hinweg abgestoßen und gewaltsam annektiert. Tatsächlich war Pasquale Paolis Verfassung erstaunlich fortschrittlich. Daß er jetzt in den Geschichtsbüchern (!) als "Pascal Paoli" weiterexistiert (genau wie mein Vorfahr Ghjan - Pietru Gaffori als "Jean - Pierre Gaffory") sein hier nochmal erwähnt, denn das ist tatsächlich eine Frechheit, deren Tragweite man nicht oft genug verdeutlichen kann. Aber egal. Es besteht eine enge Kooperation mit Sardinien, deren Bewohner wir nicht nur als Brudervolk ansehen, sondern in Zeiten der Vendetta gab es eine rege Fluktuation der Population zwischen beiden Inseln, die nur 13 Kilometer voneinander entfernt liegen. Es bestehen auch Überlegungen auf beiden Seiten, beide Inseln zu einer Kooperation à la Trinidad und Tobago zu machen, ebenfalls ein Gedanke, den ich nicht ablehne. Aber mit einem Herausbrechen aus einem Staatsverbund hat das nichts zu tun. Bei Neu - Kaledonien, das geographisch und kulturell mit Frankreich genausowenig zu tun hat, käme niemand auf dieses Argument ... wir haben halt das Pech, zumindest noch in französischer Reichweite zu liegen.
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Sehr interessant. Gerade weil du Trinidad und Tobago ansprichst, das eigentlich nur aufgrund hoher Erdöleinnahmen überlebensfähig ist, bleibt ja die Frage, wie sich ein unabhängiges Korsika (oder auch im Verbund mit Sardinien) wirtschaftlich über Wasser halten könnte.
Ich muß - bevor ich irgendeinen Käse schreibe - nochmal diverse Quellen durchforsten, auch was das Verhältnis Einnahmen und Ausgaben (Tourismus, Subventionen, Steuersystem) angeht. Sorry, wenn ich eine Antwort deswegen noch länger schuldig bleibe, war ja noch nie ein Fachmann in wirtschaftlichen Fragen, und grad jetzt hab ich das Pech, mich nicht dermaßen ausführlich damit beschäftigen zu können, wie es das von mir angestoßene Thema verlangt. Habe irgendwo noch eine recht gute Beschreibung des Systems der Steuer auf Importe und Exporte, allerdings auf französisch (was ich ja für die sinnvolle Verwertung hier auch noch übersetzen muß).
Was aktuelle Entwicklungen angeht, werde ich euch die Tage auf dem Laufenden halten.
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Sagen wir es einmal so: Korsika ist durchaus eine Art Armenhaus. Da Korsika geografisch isoliert ist, meiden Finanz- und Forschungseinrichtungen die Insel als Standort. Banken sind mit Krediten für Investitionen zurückhaltend, denn die wenigen Familienbetriebe sind kaum konkurrenzfähig. Die Insellage bedingt eben hohe Transportkosten; die Lebenshaltungskosten der Korsen liegen um etwa 10% höher als die der Festlandfranzosen (obwohl die Löhne niedriger sind).
Haupteinnahmequelle ist der Tourismus. Korsika liegt beim Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt an letzter Stelle in Frankreich. Es gibt überdurchschnittlich viele Rentner und Niedriglohnjobs. Und gut 40 % der Bevölkerung hat keinen Bildungsabschluss. 80% arbeiten in Korsika im Dienstleistungssektor. Größter Arbeitgeber ist die öffentliche Hand. Nur gut 15% arbeiten in der Industrie. Die Industrie in Korsika besteht aber zu 90% aus Kleinunternehmen mit jeweils weniger als 10 Beschäftigten. 5% sind in der Landwirtschaft beschäftigt und die beschränkt sich auf extensive Viehzucht, Obst- und Olivenanbau. Einziger wirklich erfolgreicher Wirtschaftszweig der Landwirtschaft ist der Weinanbau. Der hohe Anteil der Kleinbetriebe hemmt die Entwicklung der Landwirtschaft. Besitzer halten meist am Grundbesitz fest und verhindern eine Zusammenlegung zu größeren Betriebseinheiten.
Selbst die korsischen Nationalisten wollen keine Loslösung von Frankreich, da man von der finanziellen Unterstützung durch Frankreich sehr stark abhängig ist. Denn seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kann sich Korsika nicht mehr selbst versorgen. Die gebirgige Insel kann nicht für die Landwirtschaft erschlossen werden - der Nutzflächenanteil beträgt auf Korsika nur 14%. Zum Vergleich: Sardinien 36% und Sizilien 87%.
Korsika muss daher extrem viel importieren: Agrarprodukte, Investitionsgüter und Rohstoffe kommen vom Festland (davon 80% aus Frankreich). Außer Obst und Wein müssen auch fast alle Grundnahrungsmittel importiert werden. Die Handelsbilanz ist stark negativ, denn nur 10 % der Importe können durch eigene Exporte bezahlt werden. Als ein Beispiel mag dienen, dass allein die korsische Reederei SNCM zwischen 1991 und 2001 aus Brüssel fast 800 Millionen Euro an Subventionen erhalten hat.
Schon im Vertrag von Versailles (1768) trat Genua Korsika quasi aus Kostengründen an Frankreich ab, da das selbst schon bankrotte Genua zu weiteren Zahlungen ohnehin völlig unfähig gewesen wäre. Finanziell betrachtet hängt Korsika also durchaus am Tropf von Frankreich bzw. der EU…. eine wirtschaftliche Unabhänggkeit dürfte extrem schwierig werden.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Ich habe hier einen relativ fundierten Artikel auf Deutsch gefunden, der einen guten Überblick über die momentane Situation liefert. Natürlich gibt es Punkte, mit denen ich nicht konform gehe: die Titulierung Yvan Colonnas als "Mörder" ohne auf die Zweifel hinzuweisen, die in diesem Fall bestehen, halte ich für zumindest grenzwertig, genauso wie die fehlende Feststellung, daß sich ernstzunehmende Separatisten und die Mafia (die auf Korsika übrigens den schönen Namen "Brise de mer" trägt, nach ihrem Gründungslokal in Bastia) erbittert bekriegt haben und vieles, wie Schutzgelderpressung (angeblich im Namen der Separatisten) und das verbrecherische Abmelken von Subventionen in erster Linie auf die Mafia und das Clanwesen zurückzuführen sind. Zumindest wird die Thematik angerissen. Daß die korsische Mafia mit den deutschen Besatzern kollaboriert hat und in den 60ern und 70ern durch das Betreiben von Heroinküchen in Marseille ein wichtiger Faktor in der sogenannten "French Connection" war, macht sie mir nicht unbedingt sympathischer. Nur, falls jemand denkt, ich hätte aus mißverstandenem Patriotismus und wegen des "Pate" - Coolheitsfaktors Sympathien für diesen Abschaum. Dieser Text stammt noch aus der Zeit vor Macrons Besuch ... daß er sich entgegen der Vorankündigung komplett kompromißlos gezeigt hat, spricht nicht unbedingt für ihn.
Weitere Links folgen, ich suche in verschiedenen politischen Ecken und bin auch nicht so fanatisch, daß ich komplett argumentationsresistent wäre, was speziell ökonomische Argumente angeht. Bei historischen teilweise schon, da dies der Themenkomplex ist, mit dem ich mich am eingehendsten beschäftigt habe (und immer noch beschäftige). Daß Korsika aber seit der Annektion in erster Linie nur von Frankreich profitiert habe, nach dem Motto "wir pumpen Geld hinein und bekommen nichts zurück" ist eine Mär, die ich sogar fundiert widerlegen könnte, würde man mich nachts um drei deswegen wecken. Ich habe mir das im Eingangspost nur gespart, um den Text nicht dreimal so lang werden zu lassen, werde mich aber noch darum kümmern. Sprich: in der Interpretation des Konflikts haben die Franzosen genausowenig die Deutungshoheit wie wir, und wie immer, wenn sich zwei Parteien unversöhnlich (wie mittlerweile wieder) gegenüberstehen, muß man gegeneinander abwägen. Ich halte die Zeitspanne von zehn bis 15 Jahren mit dem Versuch, durch wirtschaftliche Stabilisierung die Basis für ein neues Referendum zu erreichen, für erstaunlich vernünftig. Die angestrebte Idee, durch eine Politik der kleinen Schritte eine politische Lösung zu suchen ohne mit der Brechstange zu agieren, gefällt mir vom Ansatz her ganz gut und hat mein Engagement noch verstärkt ... man wußte früher tatsächlich nie, mit wem man sich einläßt, wandte man sich den zahllosen Splittergruppen zu. Allein die Schaffung einer Einheitsfront ist der größte Fortschritt seit über 40 Jahren, sei hier noch einmal betont.
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Europäische Separatistenbewegungen (Korsika, Katalonien etc.)
20.02.2018 15:57 (zuletzt bearbeitet: 20.02.2018 15:58)
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