Zitat von Merseburg im Beitrag #42Ich habe so rund 30 Jahre lang geistig bewußt gelebt...
Lieber Merseburg,
ich weiß nicht, wie ich die Frage richtig formulieren soll. Die zwei Posts von dir in diesem Thread hörten sich jedenfalls verdammt nach Abschied nehmen an.
Im ersten erwähntest du gar, dass du nicht mehr viel Zeit hättest.
Ich kann die Frage noch immer nicht richtig formulieren, aber vielleicht möchtest du ja reden.
Zeit ist vergangen, verflossen, verrauscht, verweht. Wer an die Schwelle gerät, dieser an Jahren früher, jener ein wenig später, muss irgendwann (unausweichlich) erfahren, dass er die Welt nicht mehr versteht. Dieser Aspekt des sozialen Alterns: das im weitesten Sinne kulturelle Altwerden, ist zumeist ein ziemlich langsamer, undramatischer, banaler Prozess. Ebenso die kulturelle Entfremdung des alternden Menschen, sein hartnäckiger, wider bessere Einsichten aufwallender Unwillen gegen das auf ihn zukommende Neue. Amen.
Zitat von DerKleineMusicFreund im Beitrag #12016 wird mit Sicherheit bei mir ein musikalisches Jahr mit sehr wenigen Neuerwerbungen werden. Das hat keine finanziellen Gründe, sondern ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass ich momentan eher die alten Klassiker für mich wiederentdecke und auch oft in musikalischem Terrain buddele, welches ich damals auf Grund meines Alters verpasst habe.
Ich bin erstaunt und entsetzt zugleich, was es noch zu entdecken gibt/was ich verpasst habe.
Die Neuentdeckungen hingegen zünden bei mir im Moment nicht wirklich. Irgendwie hat vieles den faden Beigeschmack, das schon mal anders, origineller und besser gehört zu haben.
Das "aufgrund meines Alters" möchte ich noch um "musikalische Scheuklappen", "zeitweise fehlende finanzielle Mittel" und "in großen Teilen fehlende musikalische Bildung und deswegen fehlendes Interesse" ergänzen, ansonsten kann ich das so unterschreiben. Ich habe eine ganz solide Tonträgersammlung und ersetze gerade den Großteil meiner verbliebenen CDs durch Vinyl, entweder Originalpressungen oder Reissues. Natürlich macht man sich schon seine Gedanken, für was man immer noch Berge von Platten anhäuft. Andererseits denke ich mir auch: warum nicht? Ich lebe schließlich hier und jetzt, und warum soll ich mein Geld dann nicht für etwas ausgeben, was mir wirklich Spaß macht und an dem ich meine Freude habe? Wenn ich tot bin, bin ich tot, und da ist es mir wahrscheinlich herzlich egal, ob ich den ganzen Kram jemals im Leben so aufmerksam gehört habe, wie er es verdient gehabt hätte. Jetzt und heute blicke ich auf mein Plattenregal und freue mich daran, ich stöbere gern darin herum und genieße es, wenn manche Alben, die ich lange vernachlässigt habe, auf einmal zünden und in der Heavy Rotation landen. Ich gehöre ja zu den Privilegierten, die infolge einer schweren Erkrankung vor einigen Jahren fast totgegangen wären und trotzdem noch hier sind. Infolgedessen könnte ich schon mit Recht anfangen, mir darüber Gedanken zu machen. Aber: warum sollte ich? Was hätte ich davon, wenn ich mich einschränken würde? Deswegen werde ich auch nicht länger leben, und das dadurch gesparte Geld kann ich auch nicht mitnehmen. Stattdessen werde ich Mory (davon gehe ich jetzt einfach mal aus) ein hübsches Andenken an mich hinterlassen, wenn ich über den Jordan gehe (auch hier habe ich die kleinere Wartenummer), mit dem sie dann machen kann, was sie will. Sinnvoll, wenn ich schon kein Haus baue oder ein Apfelbäumchen pflanze.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
ZitatIch habe sicherlich keine übermäßig große Tonträgersammlung ... stehe aber doch ab und an davor ... und kann mich nicht entscheiden, was ich auflegen soll
Ich habe sicherlich eine übermäßig große Tonträgersammlung, könnte mich sehr wohl entscheiden, was ich auflegen soll, wenn ich genug Zeit dazu hätte. Mir wäre mehr Qualität als Quantität lieber, aber bevor ich eine Platte aussortiere, will ich schon noch mal eine Chance geben und sie noch mal anhören, aber andererseits nutze ich meine Zeit lieber, um Musik zu hören, die ich mag, als solche von der ich schon den Verdacht habe, dass ich sie nicht (mehr) mag.
ZitatIch bin erstaunt und entsetzt zugleich, was es noch zu entdecken gibt/was ich verpasst habe.
Ich sehe die Lücke eher als Chance. Ist doch schön zu wissen, dass, selbst wenn es ab sofort keine Neuerscheinungen mehr gäbe (oder zumindest keine, die einem gefallen), in den Archiven genug potenzielle persönliche Neuentdeckungen schlummern. Es gab schon immer mal wieder Phasen, in denen ich kaum Neuerscheinungen gehört habe und z.B. Jazz- und Klassiksachen gennengelernt habe. Wenn mich 2017 nichts Neues begeistert, entdecke ich dann vielleicht albanische Partisanenlieder aus den 1940ern.
Schön ist es allerdings, wenn man Musik gemeinsam mit anderen erleben und seinen Enthusiasmus teilen kann, wofür bei echten Neuerscheinungen die Chance höher ist als bei persönlich neu gefundenen Schätzen aus der Vergangenheit. Letzteres ist aber auch nicht ausgeschlossen, wie die Northern-Soul-Szene zeigte. Ob ich es mit den albanischen Partisanenliedern schaffen werde, Parties in dieser Größenordnung auf die Beine zu stellen, bin ich mir nicht sicher, aber ein lebhaft diskutierter Thread hier könnte schon drin sein.
ZitatSpontan auf "Verdachts"-Konzerte geh ich nach einem kurzen Eindruck tatsächlich öfter, und im Gegensatz zu aufverdachtbestellten Platten nimmt das keinen Platz weg. Nur im Kopf, als bestenfalls schöne Erinnerung.
Da halte ich es so ziemlich entgegengesetzt: Dass ich eine Platte ungehört kaufe, kommt zwar dank Spotify seltener als früher vor, aber doch noch manchmal. Schlimmstenfalls landet das Ding halt in der Tonne. An einem dunklen, kalten Herbst-/Winterabend noch mal das Haus verlassen für ein Konzert, das sich dann als kacke rausstellt? Da nutze ich heutzutage doch lieber die glücklicherweise existierenden Möglichkeiten die Band vorher abzuchecken. Beispiel erst vorgestern: Minor Victories, bei denen Rachel Goswell von Slowdive und Stuart Braithwaite von Mogwai mitspeilen, an sich also recht vielversprechend. Der Albumstream hat mich dann aber abgehalten.
Bei Livekonzerten bin ich viel empfänglicher und kann mir Sachen anhören, die ich nie als Tonträger kaufen würde. Beispiel, vorletzes Jahr eine Blaskapelle bei einer Hochzeit.
Zitat von Quork im Beitrag #45Inzwischen bin ich wohl einfach entwöhnt, was das sofortige Anhören, Testen, Kaufen, Bejubeln von Musik angeht. Ich mache das inzwischen wieder ab und zu, aber die Langzeitwirkung gibt es da teilweise nicht. Dann hört man ein Album dreimal, befindet es für gut und guckt lange nicht mehr hin. Ich halte das für nicht nachhaltig und bin mit meinem reduzierten Konsum zufrieden.
es ist wohl auch meinem alter geschuldet, dass ich bei neuem nur noch selten radschlagend jubiliere. es hat sich über die jahre ein profunder und eklektischer kennerschimmelteppich über meine begeisterungssynapsen gelegt, der bei ganz vielem einen "kenn ich doch da und da her; gabs doch schon mal; dort und dort geklaut"-filter installiert. hinzu kommt, dass ich schon lange auch die stille meiner wohnung genieße, selten musik im hintergrund laufen habe, und auch meine arbeit keine gelegenheit zum beiläufigen hören bietet (wie beneide ich grafiker!). das alles führt dazu, dass sich mein musikkonsum sehr reduziert hat, und ich bemüht bin, ihn dafür qualitativ zu kondensieren. auf der anderen seite treibt mich nach wie vor die gier auf das neue, und ich begebe mich (auch mit hilfe verdienstvoller jüngerer freunde) auf entdeckungsreise. dabei ist mir völlig egal, ob es grade der neue heiße scheiß ist, oder irgendwas uraltes, das bisher unter meinem radar langgeflogen ist (bestes beispiel hierfür war vor einiger zeit moondog). es gibt immer wieder phasen, da die alten helden mich langweilen, und ich froh darüber bin, irgendeinen stein aufheben und darunter interessantes neues gewürm finden zu können. allerdings hat sich als erfahrungswert auch gezeigt, dass sofortige begeisterung meist zu mittelfristiger ernüchterung führt. darum lass ich mir auch hier im forum mehr zeit als die meisten mit den neuen sachen. ich hab überhaupt jetzt erst mit der kamasi-washington-platte angefangen, und bin noch weit von einer tragfähigen beurteilung entfernt.
Ich versuche ja seit Jahren, dem Minimalismus zu huldigen. Das gelingt so halb. Exzessive Bücher oder Platten/CD Sammlungen passen in diesen Lebensplan nicht hinein. Ohnehin bin ich wahnsinnig bequem geworden. Warum auf Verdacht eine CD bestellen, wenn man die auf Spotify prima hören kann? Wenn sie sich - was bei maximal 5 Cd´s pro Jahr der Fall ist- zum persönlichen Suchtstoff entwickelt , kann ich sie immer noch kaufen. Alles jederzeit verfügbar. Früher , also ganz früher, in der Steinzeit sozusagen, da ist man ja sofort am Veröffentlichungstag in den Plattenladen gerast, damit die Neue nur ja nicht schon ausverkauft ist. Da stand sie dann, die Platte und ich war unendlich stolz. Altes und Neues höre ich so im Verhältnis 50/50. Manchmal ist mir nach dem Vertrauten, schon 1000x Gehörtem, manchmal ertrage ich es einfach nicht, und es muss etwas Neues her.
Zitat von tenno im Beitrag #52ich hab überhaupt jetzt erst mit der kamasi-washington-platte angefangen, und bin noch weit von einer tragfähigen beurteilung entfernt.
sein Konzert wurde leider vom Hamburger Stadtpark ins Gruenspan verlegt, sonst hätte ich zumindest ein Quäntchen mitreden können.
Zitat von sunday im Beitrag #53Warum auf Verdacht eine CD bestellen, wenn man die auf Spotify prima hören kann?
Scheitert bei mir am Sound - ich verwende zwar apple music und streame das im Wohnzimmer auf die Stereoanlage (mit einem NAD Digital-Analog-Wandler), aber das was aus den Boxen kommt turnt mich nicht wirklich so richtig an. Ich brauche gewiss keinen High-End-Sound, aber das klingt einfach zu dünn und steril für mich. Aber irgendwann wird es ja auch hochaufgelöste Streams bei apple geben vermute ich mal
Ich hatte es ja schon einmal geschrieben. Von vielleicht 100 CDs im Jahr bin ich auf - 20? 15? Bei mir haben sich einfach de Prioritäten verschoben. Damals, als Single, auch noch als Nicht-Vater, habe ich morgens ein Album beim Frühstück und wenn ich von der Arbeit nach Hause kam gehört. Und im Auto sowieso.
Aber hinter Serien und Games hat Musik an Bedeutung verloren. Es fehlt bei den drei Kindern auch einfach die Ruhe. Ab und zu lege ich mal in der Küche eine CD ein, wenn wir zu Abend essen. Aber die drei Jungs sind meist so müde und hungrig, dass sie mit Lautstärke gegen die Müdigkeit ankämpfen. Verstehen tut man nichts. Und im Auto? Da höre ich im Moment Podcasts.
Was sich nicht verändert hat ist die Art, wie ich mich für den Kauf von Musik entscheide. Ich höre oft in die Sachen rein, die auf einschlägigen Seiten empfohlen werden. Gefällt's mir, kommt's auf die Amazon-Merkliste und es folgt, wenn die Zeit da ist, ein Durchgang bei Spotify. Sagt es mir dann auch auf Albumlänge zu, kommt's in den Einkaufswagen. Habe ich mir die CD ein Jahr nach Release immer noch nicht gekauft, kommts in die Wunschlisten-Tabelle, die stetig wächst.
Die letzten Sechs in der Playlist: Holly Macve - Time Is Forever || The Fauns - How Lost || Idles - Tangk || Klez.e - Erregung || The Last Dinner Party - Prelude to Ecstasy || Ducks Ltd. - Harm's Way
Zitat von sunday im Beitrag #53Warum auf Verdacht eine CD bestellen, wenn man die auf Spotify prima hören kann?
Scheitert bei mir am Sound - ich verwende zwar apple music und streame das im Wohnzimmer auf die Stereoanlage (mit einem NAD Digital-Analog-Wandler), aber das was aus den Boxen kommt turnt mich nicht wirklich so richtig an. Ich brauche gewiss keinen High-End-Sound, aber das klingt einfach zu dünn und steril für mich. Aber irgendwann wird es ja auch hochaufgelöste Streams bei apple geben vermute ich mal
Es ist uns heute beschieden, da, wo frühere Generationen lebten, nur zu spielen, und gerade deshalb, weil wir mit der Tradition spielen, sind wir lediglich Bewahrer, unter denen es weder einen Bach oder Mozart, weder einen Shakespeare oder Goethe, weder einen Raffael noch einen Dürer gibt. Ich neige sogar dazu, denjenigen, die heute die höheren Errungenschaften der Kultur genießen, einen Vorrang gegenüber den Schöpfern dieser Kultur zuzusprechen. Immerhin war es letzteren noch nicht gegeben, ihre Reichtümer in einer solchen kristallischen Reinheit zu sehen. Der ganze Reichtum aller bekannten Kulturen liegt zu unseren Füssen. Und an jeder Sinfonie Beethovens, jedem Schauspiel und jedem Gedicht, aber auch an jeder Darstellung des Himmels und jedem mathematischen Beweis können wir uns in wechselnden Lebenslagen erfreuen.Wiedererkenntnis ermöglicht tieferes Eindringen.
Deshalb sollten wir endlich Abschied nehmen von der Idee der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten zu neuen Schöpfungen von Weltbedeutung. Das Zeitalter der Aufklärung ist lange vorbei und das Zeitalter der Aufführungen (bzw. der Wiederveröffentlichungen) angebrochen.
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Altes vs. Neues ... oder insgesamt zu viel von allem?
03.11.2016 23:45 (zuletzt bearbeitet: 03.11.2016 23:53)
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