Forum �bersicht - RE: Tom Waits

31.10.2016 20:19 (zuletzt bearbeitet: 20.02.2017 16:21)

Franks Wild Years (1987)

Waits hatte 1987 mit FRANKS WILD YEARS seinen ersten größeren Verkaufserfolg erzielt. Das ist in der Tat moderne Musik, die mit Pop eigentlich nur noch indirekt verknüpft ist. Sie operiert höchst virtuos und zumeist nur gebrochen mit Versatzstücken oder Quasi-Zitaten, wie zuvor schon Frank Zappa und Kurt Weill. Waits verpasst seinen Songs hier eine Prise Sinatra ("I´ll Take New York"), dort ein Quäntchen Piaf ("More Than Rain") , etwas weiter einige Atome "Dirty Old Town" und "House Of The Rising Sun", dann einen Schuss Morricone ("Yesterday Is Here"), ganz zu schweigen von Volksmelos, Gospel-Blues und Taras-Bulba-Nummern. Kaum wörtlich zitierend, entwickelt Waits eine Technik des indirekten Zitats, das weniger den Buchstaben als vielmehr den Geist des jeweiligen Autors oder Genres evoziert oder es gar als Klischee benützt. Beispiel: Die Frank-Sinatra-Pastiches "Straight To The Top"/"I´ll Take New York":

Waits ist gewiss nicht nur - wie John Peel und ein wenig später Jens Balzer unterstellten - ein Schauspieler seiner Gefühle. Jemand, der sich nur imitatorisch in etwas hineinsteigert, macht es sich nicht so schwer wie Waits, der von Closing Time bis zu Bad As Me mit jedem Album eine neue Welt, eine völlig neue Konstellation erfand. Durch Verdichtung stellt das Pastiche das wieder her, was Waits beim Hören der Songs seiner Lehrmeister (hier: Frank Sinatras "New York, New York") empfunden hat; Waits befreit sich so von den Songs, die ihn unablässig bedrängen, nicht ohne ihnen zuvor ihr Geheimnis entrissen zu haben.)

Waits wurde oft vorgeworfen, er habe keine eigenen Ideen (bzw. seine Musik sei "eklektisch" und verkomme zum Kunstgewerbe) - man hat nicht begriffen, dass es ihm auf etwas anderes ankommt: Durch das Patchwork vermag er, dem Hörer bekannte Emotionen mitsamt den damit verbundenen Ideen anzubieten - ein Verfahren, dass er zwar nicht erfunden, jedoch wieder zu neuem Glanz gebracht hat. Er erneuerte damit die bereits von Kurt Weill und Frank Zappa und anderen immer häufiger genutzte Kompositionsweise, allgemein bekannte kulturelle Codes musikalisch einzusetzen. Vordergründig verzichten solche Künstler auf den Anspruch, in allem und immer "originell" zu sein; sie erreichen aber, dass ihre Gedanken unmittelbar verstanden werden. Frank Zappa bereitete, indem er mit bewusst verschlissenen, banalen Versatzstücken komponierte, genau jene Techniken vor, ohne die ein Album wie FRANKS WILD YEARS undenkbar ist.
Kunst müsse weitergehen. Die Wiederholung ausgelaugter Formen führe zum Eklektizismus. Jede Zeit könne nur ihr spezifisches eigentümliches Idiom haben; aller Epigonalismus sei zum Tode verurteilt: Diese künstlerische Fortschrittsüberzeugung (Hegels Ästhetik verpflichtet, bei Adorno wieder anzutreffen) liegt auf dem Grunde der Kritik an Waits, den Jens Balzer & Co. offenbar als "Postmodernen" missverstehen.

Erwähnenswerte Coverversionen: Rod Stewart ("Hang On St. Christopher"), Rebekka Bakken ("Hang On St. Christopher"), Bulletboys ("Hang On St. Christopher"), Patty Griffin ("Hang On St. Christpher"), Glauco Venier ("Straight To The Top"), Astrid Seriese (Blow Wind Blow"), Diana Krall ("Temptation"), Holly Cole ("Temptation"), Tin Hat Trio ("Temptation"), Southside Johnny & The Asbury Jukes ("Temptation), Laura Fedele ("Temptation"), Cote De Pablo ("Temptation"), Elvis Costello ("Innocent When You Dream"), Great Lake Swimmers ("Innocent When You Dream"), Pearl Jam ("Innocent When You Dream") Kathryn Williams ("Innocent When You Dream"), Spiers & Boden ("Innocent When You Dream"), Glenn Hansard ("Innocent When You Dream"), Scarlett Johansson ("Innocent When You Dream"), Moneybrother ("Innocent When You Dream"), Nathan Gunn ("Innocent When You Dream"), Gavin Bryars/Jess Walker ("Innocent When You Dream"), Herman Düne ("Innocent When You Dream"). Les Claypool & Gogol Bordello ("I´ll Be Gone"), Cat Power ("Yesterday Is Here"), The Walkabouts ("Yesterday Is Here"), Bettye LaVette ("Yesterday Is Here"), Caroline Henderson ("Yesterday Is Here"), Scarlett Johansson ("Yesterday Is Here"), Holly Cole ("Franks Theme"), Elvis Costello ("More Than Rain"), Blind Boys Of Alabama ("Way Down In The Hole"), M.I.A. & Blaqstarr ("Way Down In The Hole"), Steve Earle ("Way Down In The hole") John Lord ("Way Down In The Hole"), The Pogues ("Way Down In The Hole"), Les Claypool & Gogol Bordello ("Way Down In The Hole"), Ed Sheeran ("Way Down In The Hole"), Terez Montcalm ("Way Down In The Hole"), Citizen Cope ("Way Down In The Hole"), John Dee Graham ("Way Down In The Hole"), Brixtonboogie ("Way Down In The Hole"), Red Elvises ("Telephone Call From Istanbul"), Brian Fallon ("Cold Cold Ground"), Holmes Brothers ("Cold Cold Ground"), Les Claypool & Gogol Bordello ("Cold Cold Ground"), Tift Merritt ("Train Song"), Holly Cole ("Train Song"), Gavin Bryars/Jess Walker ("Train Song"), Jane Siberry ("Train Song"), Spring String Quartet ("Train Song"), Holmes Brothers ("Train Song")

Best of All-Time Lists/Best of Decade Lists: New Musical Express (UK) - 500 Greatest Albums of All Time (2013): #313//Q Magazine (UK) - 476 Modern Classics: The Greatest Albums of the Last 30 Years (2016): No Order//Elvis Costello - 500 Albums You Need (2000): No Order

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