glücklicherweise hat es keiner dieser ... ähem ... verlockenden getränkeempfehlungen bedurft. hab mich auch ohne einigermaßen fit gesiecht. nur das kratzen im hals sorgt noch für ein bisschen unmut.

Oh, beth, das klingt schlimm! Ich schließe mich der Frage an, ob ein Jobwechsel eine realistische Idee ist.

@Jack: Ich könnte in jeder x-beliebigen Schule mit netten Kindern arbeiten, aber das will ich ja auch nicht. Jedes Jahr wieder 20 Kindern die Bildgeschichte zu vermitteln und auf Schullandtage zu fahren, interessiert mich null und wäre mit meiner Qualifikation und Erfahrung fast schon Verschwendung.
Ich möchte Konzepte schreiben und Organisationsentwicklung machen oder so. Ich steck da eh schon mit einem Fuß drin. Ich muss jetzt schauen, ob ich irgendwie den zweiten rein bekomme. Nervlich geht das, was ich die letzten 7 Jahre gemacht habe, jedenfalls nicht mehr lange gut, so spannend die Fallarbeit auch auch sein mag.

Gut, mit der Frage nach gewissen Regeln und der Durchsetzung einer allgemeinen Disziplin will ich mich jetzt nicht ideologisch verdächtig machen, aber ist das denn pädagogisch gar nicht vorgesehen, den kleinen Rackern mittelfristig das Schuhe werfen und Titulieren von Lehrkräften als "Hure" abzugewöhnen oder ist das einfach ein weiter Weg? Stelle mir die Vermittlung von Lehrninhalten in so einer Atmosphäre recht herausfordernd vor.

Ich vermittle keine Lerninhalte. Ich arbeite sozial- und traumapädagogisch mit psychisch erkrankten Kindern im Einzelsetting. Eben weil diese Kinder Schule unmöglich machen.

Ach so, dachte das sei eher sowas wie bei uns die Sonderschulen. Trotzdem unschön, was du da mitmachen musst.

Wenn Sonderschulen diese Kinder auffangen könnten, wären sie nicht bei uns.
Du musst dir das so vorstellen: Da ist ein 12jähriger Junge mit (vermutlich) Alkoholemryopathie, vermindertem IQ, Suchtproblematik und frühkindlichen Trauma. Er lebt mit seinen zwei Halbschwestern (19 und 2) bei seiner alkohlkranken Mutter, die ihm nicht nur Alkohol und Zigaretten gibt, sondern er hat auch Zugang zu Cannabis und Kokain. Vormittags ist er bei uns, ab Mittag sitzt er vor der Konsole, kifft und raucht, trinkt Red Bull und isst den ganzen Tag nichts. Oder er trifft sich mit seiner Gang, geht klauen, Jüngere verprügeln, dealen oder er spuckt Polizisten an. Was er genau tut, wann er heimkommt, wann er schlafen geht interessiert niemanden. Immer wieder kippt er in dissoziative Zustände, hat ein ständiges Hyperarousal und die einzige Strategie, diesen Stress abzubauen, sind diverse Substanzen, stundenlanges im Raum herumwandern und auf Gott und die Welt schimpfen. Seine Erzählungen sind so wirr, dass ich mir nicht sicher bin, ob er überhaupt irgendwann in den Zustand kommen kann, den wir "Realität" nennen. Die Erwachsenen in seinem Umfeld sagen ihm, er bräuchte keine Schule, keine Therapie, keine Medikamente, er würde es auch so schaffen. Und dann kommt er vier mal die Woche zwei Stunden zu mir und ich arbeite mit ihm daran, zu spüren, wann er wieder in die Dissoziation kippt und das zu artikulieren oder sein Handy in die Schublade zu legen. Oder etwas zu finden, was er gerne und länger als 10 Minuten tun kann. Oder ich frühstücke mit ihm, um ein wenig Normalität herzustellen und eine Grundversorgung mit Nahrung sicher zu stellen.
Und dann ist da das 10jährige Mädchen, das als Kleinkind wieder und wieder miterlebt hat, wie die Mutter vergewaltigt wird. Sie hat keinen Funken Vertrauen in Erwachsene, denn sie hat Erwachsene nie als stark, sicher und verlässlich erlebt. Sichere Bindung gibt es für sie nicht. Ihren Hass auf Erwachsene und die ganze Welt projiziert sie dann auf mich in Form ständiger Abwertung, um das überhaupt ertragen zu können, wie einsam sie ist. Nach dem Motto: Ich verletze dich, bevor du mich verletzt. Und ich bleibe dann in der Beziehung, um ihr zu vermitteln, das Erwachsene sehr wohl verlässlich sind, um dieser Bindungsstörung entgegenzuwirken. Schule verweigert sie, denn alle Lehrer*innen sind in ihrer Welt Feinde. Ihr Selbstbild schwankt zwischen "Ich muss nicht lernen, ich heirate sowieso." (Abwertung und ausgeliefert sein) und "Ich muss alles alleine machen." (Fast schon zwanghaftes Kontrollieren jeder Situation.)
Das ist ein fucking anstrengender Job. Ich bin zwar abgestellt als Lehrerin, mit lehren hat das aber nichts zu tun.
Von dem 12jährigen Jungen mit Verdacht auf Psychpathie im Vollbild, der immer wieder auf der Straße lebt und sich prostituiert, erzähl ich jetzt mal nix.
Heute hatte ich übrigens einen guten Arbeitstag. Ich war mit dem Mädchen Süßes für den Adventskalender und Kerzen für den Kranz einkaufen. Dann haben wir den Kalender gefüllt, den Kranz dekoriert und Erdnüsse geknabbert.

Puuuh. Das ist hart zu lesen. Warum dürfen Kinder wie der Zwölfjährige denn bei der Familie bleiben?

Weil die Familienautonomie über dem Kindeswohl steht. Damit die Obsorge entzogen wird, braucht es mehr.

Aber wir haben selbstverständlich auch Kinder, bei denen die Obsorge bei der Behörde liegt.

Es ist wirklich hart, dass es Kinder gibt, die quasi von Geburt an verloren haben, weil sie die falschen Eltern haben, die sich einen Scheißdreck um sie kümmern.

Jup. Und diese beiden Kinder haben Eltern, die sie immerhin irgendwie annehmen. Wir haben auch Kinder, deren Eltern ganz klar sagen, dass sie Missgeburten sind und sie nichts mit ihnen zu tun haben wollen.

Sag das mal einem 8jährigen ins Gesicht und fordere dann ein, er soll sich doch bitteschön an die Regeln halten und ein wenig Disziplin an den Tag legen

Oha, das sind ja wirklich dramatische Fälle, jetzt verstehe ich besser, was da los ist.
Und unsereiner macht sich Vorwürfe, wenn es mal Fertigpizza gibt oder die Kinder 45 Minuten fernsehen.

Also Familienautonomie hin und her, aber wenn ein 12-jähriger kokst und die Eltern das anscheinend irgendwie mitkriegen, ist das Kindeswohl doch so massiv gefährdet, dass die Familienautonomie zweitrangig wird? Was muss da denn erst passieren, dass so ein Kind aus diesem Kontext genommen wird?

Ich habe keine Ahnung von diesem ganzen Thema, darum frage ich ganz naiv und ernst gemeint.