Nun ja, ich sehe ästhetische Intersubjektivität (Konsubjektivität) auch für den Kunstbereich, aufs ganze gesehen, als im wesentlichen gegeben an, und zwar nicht nur in der Beurteilungs-, sondern auch und zuerst in der Herstellungspraxis. Sind doch in der Kunst (in der Musik) die gemeinsamen Regeln der Herstellung offenbar primär, und das seit Jahrtausenden. Dabei handelt es sich eben nicht um flüchtige "bloße" Konventionen, die sich einzelne so mal haben miteinander einfallen lassen. Etwaige Ausnahmen dieser Art in der Moderne (die ich aber im Grunde selbst dort kaum sehe) fallen demgegenüber, wiederum im Blick aufs Ganze, nicht ins Gewicht. Und solche Herstellungsregeln, die sich im Laufe der Zeit sowohl praktisch ausprägen als auch abwandeln, sind es, die hier jeweils verläßliche Beurteilungs- und Bewertungskriterien liefern. So hat es beispielsweise konkret-genaue Regeln für den Bau von Kathedralen gegeben oder speziell für die Technik des Spitzbogens; Regeln für die Komposition von Fugen oder speziell der Drittelfuge, oder fürs Verfahren musikalischer Chromatisierung. Und es gibt auch handfeste Regeln gekonnter Schnitt-Technik beim Film. Und seit altersher besteht eine gemeinsame Verwendungspraxis der Ironie, durch mancherlei ihrer Grundregeln hindurch. Selbstverständlich ist da in den Künsten jeweils auch ein Überschuß Können im Spiel, eine besondere Meisterschaft, die nicht alle erreichen - aber das ist ja nun überall in der Praxis so, auch in der Mathematik. Selbst Rembrandt hat lernen müssen, um Meister zu werden. Und auch Haydn, wenn er etwa eine Passus doriusculus aus dem Regelkanon barocker Passionskompositionen in ein heiteres Stück Wiener Klassik überraschend einarbeitet. Für eine irrationale Genie-Ästhetik besteht da also gar kein Anlaß. Und es geht, insgesamt, ebensowenig um permanente Innovation durch permanenten Traditionsbruch. Wer hier und heute Blues oder Gambenmusik der Renaissance hört, der will, und zwar bewußt und ohne Überdruß immer dasselbe hören. Und der weiß das nach seinen Herstellungsregeln immer Gleiche konsubjektiv ebenso zu schätzen wie etwa den Wechsel der (in sich jeweils ebenfalls regelstrengen) Perioden im Lebenswerk Picassos, die ihrerseits unterschiedlichen Traditionen verpflichtet bleiben.
Ich fand diesen letzten Beitrag eigentlich durchgehend sinnig und verständlich. Ich weiß nur nicht, wie er mit Krolocks vorangegangener Radiohead-Beurteilung zusammengeht und vermute daher, dass es sich um ein eloquent verpacktes "gute Musik sieht anders aus und was du persönlich davon hältst macht sie nicht besser" handelt. Darauf ein ein Glas Gambenmusik.
Eloquenz schützt nicht vor Geschwätzigkeit. Thematisch auf den Punkt zu kommen ist deutlich wichtiger als sich bei seinem eigenen Geschwurbel einen zu wichsen, um das mal ganz profan zu formulieren. Inhaltlich hätten zwei Sätze genügt. Lustig ist's dennoch
Ich bin nur Gast in diesem Land. Mit den Gepflogenheiten noch nicht ganz vertraut, daher wollte ich dem Affen keinen Zucker geben. Nächstes Mal gehe ich nicht drauf ein.
Back on topic: Jedes Mal, wenn ich nach Monaten wieder mal konzentriert ein Radiohead Album am Stück höre, bin ich baff, wie aktuell und wie stimmig es klingt. Auch in meiner "Rangliste" gibt es erhebliche Unterschiede und unterschiedlich starke Gefühle für die jeweiligen Alben. Aber ganz sicher kann ich nach so einem Durchlauf sagen, dass ich kein einziges verzichtenswertes Album von ihnen ausmachen kann. Selbst Pablo Honey funktioniert auf einer Autobahnfahrt sehr gut, warum Songs wie Stop whispering oder Lurgee nicht einfach gute Alternative-oderIndie-Rock-odersowas-Songs sein sollten, ist mir schleierhaft. Dass man die Frühphase nicht gegen alles, was ab Kid A kam, direkt vergleichen darf - geschenkt.
Kurz gesagt: Was die langfristige Wirkung angeht, kann es keine andere zeitgenössische Band für mich mit ihnen aufnehmen. Um das noch mal klar gesagt zu haben.
Zitat von Von Krolock im Beitrag #40Klar. Ich habe im übrigen ein Radiohead-Intensiv-Wochenende hinter mir. Nichts hat genervt (was mich en wenig wundert) und es gab einen Verlierer und zwei Gewinner:
Ich habe "In Rainbows" noch nie so toll empfunden, dafür hat "Hail To The Thief" sehr verloren. Und nach wie vor verstehe ich noch nicht ganz, warum "OK Computer" ein Jahrhundert-Album sein soll. An dem Stellenwert von "Kid A" und "Amnesiac" hat sich für mich nichts geändert. Zweiter Gewinner? "King Of Limbs". Allerdings bleibe ich dabei, dass nach "Amnesiac" nichts Bahnbrechendes mehr kam.
Die meisten hier verhalten sich zu musikalischen Werken wie gegenüber lebendigen Menschen, deren Schicksal einen angeht oder nicht. Das ist sehr erfreulich. Daher sind sie fähig, auch Drittrangiges mit Wohlwollen aufzunehmen und ohne Rücksicht auf Kritikermeinungen weiterzuempfehlen. Diese Haltung, Musik strikt persönlich zu nehmen, führt oft zu erstaunlichen Urteilen, vor allem dann, wenn sie mit der Entstehung und der Qualitätsentwicklung einer Band eingehender vertraut sind.
sehr guter einwand. diese gefühlsduselei bei der rezeption handwerklich einwandfreier meisterwerke ist das, was das abendland in den untergang treibt. (wir wissen ja heute, dass die emotion als solche bereits bei der belagerung wiens durch die türken nach mitteleuropa gebracht wurde; zuvor konnte man sich in christlicher tradition ausschließlich rational mit kunst auseinandersetzen.) ich für meinen teil lege beim erwerb von musik großen wert auf einwandfreie herstellung und effiziente anwendung. produkte nicht diplomierter erzeuger lehne ich von vornherein ab: allerdings sind die kontrollen diesbezüglich sehr lasch, man kann sich ja auch auf die herkömmlichen prüfinstitute kaum noch verlassen (der TÜV rheinland ist ja nicht nur bei der kfz-hauptuntersuchung ins gerede gekommen, auch bei den kompositorischen endabnahmen soll es insbesondere bei den atonalen elementen zu unregelmäßigkeiten gekommen sein). der genuss beim hören sollte sich bevorzugt durch die wahrnehmung technischer und kompositorischer finessen einstellen; selbstverständlich gilt es dabei, jede form von rührseliger subjektivität zu vermeiden. man kann das gefühl der ästhetischen befriedigung noch steigern, indem man zeitgleich zur auralen wahrnehmung gediegenster musikschmiedearbeit ein haptisches äquivalent in augenschein nimmt; so z.B. die gelungene verzapfung eines antiken toskanischen eichentischs.
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28.01.2016 22:08
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