ich mag ja so listengedöns, und erlaube mir, zu beginn einen text von 2009 zu recyclen (die älteren hier werden sich erinnern ;) ). das beste album aller zeiten auf der ganzen welt:

the velvet underground – the velvet underground & nico
(verve records, usa, 1967)

das nun folgende ist ein schwieriges unterfangen: wie soll man sich einem album nähern, über das eigentlich schon alles gesagt wurde, umfangreicher und von klügeren menschen als ich es bin... einem album, das derart mystisch überhöht und akademisch seziert wurde, dass meine paar zeilen schon vor der niederschrift ohne belang sind?

ich nehme das album aus der hülle, lege den karton ins regal und betrachte das sattschwarze vinyl (das in meinem falle leider ein orangenes polydor-label ziert und nicht etwa das blau-goldene verve records-signet. 1992 in philadelphia habe ich eine originalpressung in der hand gehabt, die banane auf dem cover halb „geschält“, vinyl und hülle aber in einem insgesamt guten zustand - als student allerdings war ich zu arm, zu geizig, zu feige, zu vernünftig, zu... verdammt noch mal irgendwas, dem second hand-händler die geforderten 160 dollar für das album zu bezahlen. ich bereue es bis heute). aber ich schweife ab. was tue ich hier eigentlich? ich lege die nadel auf die eingangsrille, lausche dem knistern und mit den ersten tönen des glockenspiels von sunday morning bin ich wieder drin.

the velvet underground & nico ist das beste album aller zeiten.

so weit bin ich mir sicher, und mit dieser meinung stehe ich nicht alleine da. warum das so ist und wie es dazu kam, davon schreibe ich hier. den ganzen ballast der musikgeschichte, den theoretischen überbau, die vita von andy warhol und seiner new yorker künstlerkommune klammere ich weitgehend aus – it´s just me and the music, naked. den rest lasst euch von wikipedia erzählen.

in den achtziger jahren trugen viele meiner helden schwarze sonnenbrillen, die meisten spielten verzerrte gitarren und ein guter teil vermischte süßen pop mit rauschendem lärm, noisepop war das wort der stunde und je tiefer man in die szenerie eintauchte, desto öfter fiel ein name: „the velvet underground“. in der referenzliste nahezu jedes schwarzgekleideten jungspundes mit einer gitarre in der hand fester bestandteil, war dieser name für mich schon eine legende, bevor ich auch nur einen ton der band gehört habe. ich wurde neugierig. meine erste lp von the velvet underground war das mit dem bandnamen selbst betitelte dritte album von 1969, und obwohl es zweifellos eine gute platte ist, hat sie dem erwartungsdruck nicht stand gehalten, war irgendwie zu unspektakulär, um diese band auf ein dermaßen hohes podest zu heben. viel wind um wenig. aber konnten all meine helden irren?

kurze zeit später bekam ich eine cassette von meinem bekannten nobby aus rheine. darauf: die debutalben von den new york dolls und the velvet underground. insert tape. play. genau wie heute zogen mich auch vor mehr als zwanzig jahren die ersten töne von „sunday morning“ sofort in ihren bann. das hypnotische glockenspiel (das eigentlich gar keins ist), die verzauberte, zuckrige atmosphäre, alles ist gut, alles ist sicher, alles ist warm, eine wunderbare melodie und ein gesang, der suggeriert, dass das böse unendlich fern liegt. lou reed klingt hier so unschuldig wie wohl auf keiner anderen seiner aufnahmen und den gesangspart in letzter minute an sich zu reißen (obwohl der track für nico komponiert war) ist sicherlich die richtige entscheidung gewesen - so hell und so rein hätte eine nico diesen song nicht singen können und er hätte seinen charakter verloren. wirklich: ein lied wie sonnenstrahlen, die durch den vorhang ins zimmer fallen. so fasziniert ich war, ich hatte anderes erwartet. der zweite song, i´m waiting for the man, ist musikalisch einer der gefälligsten und konservativsten auf dem album, ein simpler, monotoner rhytmus aus gitarre und bass, unterstützt von percussion und barpiano überlagert von der nasalen und doch schneidenden stimme von lou reed. der verzicht auf das klassische strophe-refrain-schema entfaltet erneut eine hypnotische wirkung, allerdings ist diese völlig anders geartet als jene in sunday morning - verzaubert dort das spieluhrartige glockenspiel, weicht hier jede emotion einer alles überstrahlenden gleichgültigkeit. der text: das warten auf den drogendealer in den straßen von new york. auf femme fatale kommt nun erstmals nico ins spiel (sieht man von den backing vocals des eröffnungstracks einmal ab), und ihr timbre, ihr harter akzent, verleihen diesem wiederum zuckersüßen, kurzen song etwas zutiefst brüchiges und melancholisches. die ersten drei songs also: harmlos, nahezu klassisch, atmosphärisch, melancholisch. und vor allem eins: den hörer in sicherheit wiegend. was darauf folgt, ist kaum weniger als purer nihilismus, in töne gefasst. venus in furs, textlich basierend auf dem buch von leopold von sacher-masoch, ist schlicht atemberaubend. getragen von john cales bratsche und lou reeds gitarre (auf der alle saiten auf „d“ gestimmt sind) öffnet das stück in erbarmungsloser monotonie pandoras büchse der gefühle. ich kann die wirkung nicht objektiv beschreiben, also schildere ich rein subjektiv: ich fühle mich unangreifbar, groß, willenlos, gehe in der endlosschleife der viola auf, alles ist unfassbar egal, schwarz, frei von werten. „a thousand dreams that would awake me, different colours made of tears“, venus in furs ist eine welt für sich, ein zustand, der den hörer einsaugt und nach fünf minuten gehirnwäsche wieder ausspuckt. für mich war das neu, aber es funktioniert immer noch, immer wieder, und bis heute habe ich keinen song gehört, der auch nur annähernd diese wirkung erzielt. komplett schwarz, zynisch und von kältester gleichgültigkeit. mit run, run, run einen fast heiteren und beschwingten gitarrensong folgen zu lassen, ist ein als wohltuend empfundener kontrast. lediglich reeds unkonventionelles, klirrendes gitarrensolo wirkt in diesem song (der sich wiederum um das new yorker umfeld, freunde, drogen dreht) leicht irritierend. all tomorrows parties schliesst die erste seite des albums und ist der zweite von nico gesungene song auf dem album. fern von der zuckrigkeit von femme fatale wirkt der gesang hier wesentlich düsterer, depressiver und dunkler, auch hat der song selbst mit dem präparierten piano john cales und der eingensinnig gestimmten gitarre lou reeds wenig mit pop oder rock im herkömmlichen sinne zu tun. in wenigen songs hat sich das so sonnig begonnene meisterwerk zu einem schweren, düsteren monolithen entwickelt.

die zweite seite startet mit heroin, einem siebenminütigen opus, das wohl nicht zu unrecht das label „drogenverherrlichend“ trägt – obwohl es sich einer stellungnahme entzieht und eine reine zustandsbeschreibung liefert. es wird mein untergang sein, aber das kümmert mich nicht. wiederum von cales bratsche untermalt, steigert sich der ruhige song in einen wahren orkan aus viola, gitarre und moe tuckers dumpfen schlagzeug hinein (auf eine bassgitarre wird verzichtet), nur, um zum schluß die anfängliche ruhe wieder zu finden. der zweite track, there she goes again, hingegen ist abermals der kontrastierende, reine popsong – inklusive fast schon ironischen backgroundchören und fern von jedem irritierenden element. ich kann nicht beurteilen, wie „hörbar“ dieses album ohne diese art von songs wäre, aber mein bauchgefühl sagt mir, dass sie dem gesamten mehr als gut tun. das wiederum von nico gesungene i´ll be your mirror ist nichts anderes als ein perfektes, sonnendurchflutetes liebeslied, und es ist schon fast unglaublich, das ein song wie dieser auf einem album mit stücken wie venus in furs oder heroin zu finden ist – das natürlich ist die große leistung dieser platte, das spielen mit gut und böse, mit reinheit und brutalität, mit lärm und wohlklang. letzterer wird mit black angels death song endgültig verlassen, einem stück, in dem lou reed seine apokalypse hauptsächlich gegen eine atonale viola ansingt, nicht einmal laut, wenig heftig, aber schleichend unangenehm, nervig und weit entfernt von dem, was 1967 als „rocksong“ bezeichnet wurde und gemeinhin wird. den schlusspunkt setzt european son, mit fast acht minuten spieldauer das längste stück der platte. einem einminütigen songteil mit angedeutetem skiffle-rhytmus und gesang folgen sieben minuten improvisation, feedback und gitarrenlärm. wie diese musik 1967 auf das publikum gewirkt hat, sollen zeitzeugen beurteilen, gefällig ist diese synthese aus avantgarde, improvisation und rock auch heute noch nicht. dass sie grundlagen für vieles gelegt hat, was ich persönlich seit meiner jugend höre und liebe, ist sicherlich ihr verdienst.

wie gesagt, es geht mir nicht um eine umfassende gesamtbeurteilung des albums und seiner bedeutung für die musikgeschichte, die musiktheoretischen schmankerl und personellen spirenzchen, es geht allein um seine wirkung auf mich persönlich. was das dritte velvet-underground-album nicht geschafft hat (und das zweite, white light/white heat, erst noch schaffen wird), ist hier gelungen – dieses album erklärt mir die ursprünge „meiner“ musik und wirkt dabei keinesfalls verstaubt, sondern so radikal wie am ersten tag. wie schon im ersten album dieses threads beschrieben (jesus and mary chains „psychocandy“) ist es die spannung zwischen unschuldiger harmonie und zynischer gefühlskälte, die mich fasziniert, das zusammenspiel von babypinkem pop und schwärzester emotionslosigkeit, der einsatz von lärm als instrument und das große „i don´t give a fuck“, mitten auf die stirn tätowiert.

gerade kommt eine fee in mein zimmer geflogen, sie hat ein blaues babydoll an, trägt ein süßes lächeln und fragt: „sag mal oasupp... bist du eigentlich völlig bescheuert?!? draußen scheint die sonne, dein auto ist vollgetankt, die hundewelpen schlagen purzelbäume und die wolken sind aus zuckerwatte. kannst du mal anders als immer nur so einen nihilistischen scheißdreck?“ ich sage: „ja, liebe fee (hübsches babydoll übrigens). in meinem regal verstaut sind 1586 gute-laune-platten, ich fahre sehr gern auto mit den cramps im radio und dem ellbogen im fensterloch, ich purzle gerne mit den welpen und lächle vor verzückung, wenn ich die harmonien der beach boys im supermarkt mitsinge. aber das hier, liebe fee, das musste mal gesagt werden.“

(edit: mittlerweile ist die "polydor" einer "verve" gewichen, banane ungeschält)

recyceln ist geil, da muss man nichts neu schreiben. hier stimmt aber auch noch jedes wort:

the jesus and mary chain - psychocandy
(blanco y negro, 1985)

neunzehnhundertfünfundachtzig. eine jugend in der 220.000-einwohner-provinz. was hatte man denn schon mit fünfzehn? gut, das bisschen rebellentum war second hand. cure, siouxsie, joy division, die waren alle schon vor uns da. alien sex fiend und die sisters of mercy hat ingo uns aufgenommen. bodos großer bruder, der mit den langen haaren. und ist marillion wirklich so schlecht? was, wenn mir die simple minds immer noch gefallen? den kumpels am rathaus darf ich das nicht erzählen, die lachen mich aus. fraggles. soll ich den snoopy mit dem baseballschläger auf meine jacke malen oder doch lieber das logo von merciful release? und wo gehöre ich eigentlich hin? überall dazu oder nirgends so richtig, bin ich am ende nur ich selbst? samstag ins linea, schwarze klamotten an, schwere stiefel, saufen im kunstnebel. die eltern müssen ja nicht wissen, mit wem man sich rumtreibt. hauptsache morgen um eins sind die füße unterm tisch wenn vater vom frühschoppen und der braten auf den teller kommt...

mittwoch in die city. zu elpi, schauen, ob die neue hosen schon da ist. was ist das? sieht interessant aus... „psychocandy“. cooler titel. „the jesus and mary chain“ – nie gehört. hat mir auch noch keiner was von erzählt, auch die älteren nicht. bei „psycho“ denk ich natürlich sofort an meteors oder frenzy, psychobilly halt. so sehen die jungs auf dem cover aber gar nicht aus, eher wie gruftis. cool, irgendwie. nehm ich mal mit, die hosen ist eh noch nicht da.

innencover sieht auch toll aus. alle in schwarzen klamotten, komisch, dass die am rathaus noch keiner hat. sonnenbrillen. livephotos, sieht ja ganz schön wild aus bei denen. „just like honey“. was ist das jetzt? das hätt ich mir aber ganz anders vorgestellt, das ist ja so... zahm. pop, irgendwie. scheiße, schon wieder ein fehlkauf. oder? hat ja schon was, aber cool geht irgendwie anders. musik, die meiner mutter gefallen könnte. fuck. „the living end“. wasn? da geht was. das völlig andere programm. cooler titel irgendwie, tod und so. motorbike? im sommer krieg ich hoffentlich ne achtziger. das schlagzeug klingt echt billig, der gesang ist aber super, irgendwie so nuschelig. na ja, cool eben. der song geht echt gut ab, am besten ist das geräusch im hintergrund. was ist das? ne gitarre? klingt wie eine schleifmaschine, macht jedenfalls ordentlich was krach. „taste the floor“ mein gott. irgendwie auch nur ein popsong, aber so… so scheiße gleichgültig. wie geht das? ich meine, das ist ja ein ganz normaler song, aber... scheiße! das ist ja nur noch rauschen, white noise. auch eine gitarre? was zum henker machen die jungs da?!? das ist wie... wie dusty springfield, die neben einer startenden boeing singt. das ist groß! „the hardest walk“. popmusik, klar, das ist reine popmusik. nur eben mit lärm. die schönsten melodien und dann? dann kommt der fleischwolf. ja, das ist es verdammt noch mal: die jungs reissen das haus ab. die nehmen die songs aus den sechzigern und zertrümmern sie, nehmen den vorschlaghammer, die flex, und hacken sie in stücke. schreddern sie. hab ich noch nie gehört, das ist unglaublich... weiß nicht. radikal. ja, scheiße, das ist radikaler als punk! punk ist schneller rock´n roll, aber das hier... das ist die zerstörung der musik. das zerlegen in einzelteile, das atomisieren von harmonien. „cut dead“. haha. das können sie auch. sachen heile lassen. süßlicher pop, dem kann man nichts tun. „in a hole”. und dann wieder das! gott, eine gitarre wie eine kreissäge, aber nicht so laut wie bei den heavies. eher so... subtil? einfach, als wäre ihnen alles scheißegal. als würde die zerstörung nebenbei passieren. god spits on my soul, there´s something dead inside my hole. die zeile muß ich mir merken, die ist genial. „taste of cindy“. was für eine wahnsinns-lp. da kommen die einfach daher und zerlegen die 60s quasi im vorbeigehen. und wir, wir schauen zu, mit offenem mund, trauen uns nicht zu atmen. spiel ich brandy mal vor, der mag die byrds.

zweite seite geht genau so weiter. das ist die lp, die für mich gemacht ist. so eine musik hat es vorher nie gegeben, das ist neu - und das ist gewaltig. lass die punks doch die klappe aufreissen von wegen system zerstören und so weiter, das hier ist... ernst. richtig laut hören, bei den gitarren dauerts nicht lange bis vatern den stecker zieht, aber so what? ich bin unangreifbar. wir sind unangreifbar. wir ficken euch alle. und wisst ihr was? es ist uns scheißegal. wir nehmen euch das, was euch lieb und teuer ist, wir nehmen eure süßen melodien und stecken sie euch in den, na ja. gewaltig. wie kommt man auf die idee, perfekte harmonien mit solch einem infernalischen lärm zu paaren? und warum ist da vorher noch keiner draufgekommen? egal, das ist nicht wichtig. es ist jetzt. es ist neu. und es ist für mich. es ist das ende von allem. und es ist der anfang von allem.

Nach der Fee im blauen Babydoll kommt demnächst sicher ein kleiner Junge im orangen Overall mit bei oasupp vorbei.
Und alle wundern sich, warum oasupp plötzlich "sag mal...bist du eigentlich völlig bescheuert" zu ihm sagt,
obwohl der Junge beim Herumspielen doch nur einen Bananensticker auf den Kühlschrank geklebt hat...