Diesmal nur Platten aus Europa und aus den letzten 30 Jahren. Nicht als Konzept sondern Zufall. Je 20 % Sheffield-, London- und Münchenquote. Einen Teil des Textes habe ich gestern im Vollrausch geschrieben.
1. Gustav - Rettet die Wale (2004, Mosz mosz 005)
Ich höre relativ wenig elektronische Musik. (So wenig, dass ich nicht mal ein Regal dafür habe: Die paar elektronischen Platten müssen sich mit einem Platz zwischen Rock/Pop, Dance oder Indie begnügen.) Der Grund ist nicht etwa, dass ich auf "natürliche" oder "handgemachte" Musik Wert lege (Ich habe auch noch nie in der Natur ein Klavier wachsen sehen und auch Synthesizer werden mit der Hand gespielt), aber ich schätze Songstrukturen, Gesang und interessante Texte, was ich bei vielen elektronischen Platten vermisse. Gustav ist ein Gegenbeispiel. In erster Linie ein ein-Frau-Projekt von Eva Jantschitsch, spielte sie auf 'Rettet die Wale' fast alle Instrumente selbst ein und trat zunächst auch live alleine mit Laptop auf, später dann in Band-Besetzung mit Oliver Stotz an der Gitarre und Elise Mory am Keyboard. Zuerst gehört und auf Anhieb geliebt habe ich auf FM4 das eher untypische, weil gitarrenrockige 'da, am monopØl', am 12.3.2005 dann das großartige Konzert im kurzlebigen Veranstaltungsort "Zerwirk" (nur als Veranstaltungsort kurzlebig: das Gebäude ist mit ca. 750 Jahren das zweitälteste Münchens), das übrigens von Arte gefilmt wurde, aber das Internet vergisst vieles, auch aufgrund der Depubizierungspficht, danke Döpfner. Wo ich das Album kaufte und, daheim angekommen, gleich auflegte. Und nach dem ersten anhören gleich noch mal. Was die wenigsten Platten von sich behaupten können. Der Grund für die Begeisterung? Ist immer schwer in Worte zu fassen, auch wenn das wahrscheinlich die Idee dieses Threads hier ist. Stichworte zumindest: Geiler, üppiger Sound (laut Booklet: Geigen, Akkordeon, Strom Gitarren, Xylophon, Stimmen, Synths, Elektronik, Programmierung, Gitarre, Schlagzeug, Cello, Saxophon, Bass), wunderbare Stimme, starke Kompositionen, kluge Texte zwischen Desillusioniertheit und trotzigem Optimismus (die damals auch die alte Tante NZZ zu Respektzollung brachte). Auf alle Fälle ein gutes Beispiel dafür, welch ein wunderbares Musikjahrzehnt die 2000er-Jahre waren.
2. Savages - Silence Yourself (2013, Matador OLE-1036-1) Vielleicht die letzte große Hoffnung der 10er-Jahre. Einflüsse von Joy Division un Dead Kennedys, aus einer Zeit als die Bandmitglieder noch nicht auf der Welt waren, sind klar erkennbar, aber nicht als plume Nachahmung, sondern als Inspiration für was neues, spannendes. Live noch großartiger als auf Platte: die aufs Publikum orientierte Sängerin Jehnny Beth, die scheinbar in sich selbst versunkene Gitarristin Gemma Thompson, die aber dann doch der Bassistin Ayse Hassan Bälle zuspielte, die wiederum der Drummerin Fay Milton, die den Eindruck machte, alle Fäden zusammenzuhalten und eh die coolste von allen war. Offiziell aufgelöst haben sie sich sich nicht, aber seit drei Jahren gibt es leider keine gemeinsamen Aktivitäten mehr. Von den solo-Aktivitäten gefallen die die von Ayse Hassan alias Esya am besten.
3. Blumfeld - L'Etat Et Moi (1995, Big Cat ABB 73) So gut waren sie nie nie zuvor und nie wieder.
4. The Stone Roses - The Stone Roses (1989, Silvertone ORE LP 502) Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich sie 1989 noch nicht zur Kenntnis genommen habe, erst einige Jahre später. Ich habe eine DVD, auf der bei den Aufnahmen zu sehen ist, was für dumme, pubertäre Burschen das damals waren. Aber sie haben aus unerklärlichen Gründen eine der herausragendsten Platten aller Zeiten abgeliefert. Jedesmal, wenn eine Band dafür gelobt wird, dass sie Indierock mir Dancebeats verbindet, danke ich mir, ach ja, so wie die Stone Roses 1989. Großartige Songs sind ein weiters Plus.
5. Pulp - Different Class (1995, Island ILPS 8041) Was soll ich groß sagen. It's a classic.
6. Blur - Parklife (1994, Food FOODLP 10) März 1994: Mein erster England-Urlaub als Erwachsener. Aufregende Musik überall: Im Radio, in den Clubs, in den Musikzeitschriften... Der top-Hit von allen: 'Girls & Boys' von Blur. Als ich ein paar Monate später erstmals die Nachfolgesingle 'Parklife' hörte, fand ich sie zunächst ein bisschen lahm, kaum noch nachzuvollziehen heute, wo jede Band (einschließlich Blur und Nebenprojekte) von so einem Hit nur träumen kann.
7. Ms John Soda - No p. or d. (2002, Morr Music MM031) Stefanie Böhm hatte bereits in einigen Bands aus dem Hausmusik-Umfeld gespielt (mehr dazu im De:Bug-Interview von 2002), kurzzeitig auch in der ur-Formation von Lali Puna, wo sie allerdings vor dem Durchbruch ausstieg, mit der Begründung, nicht auf Tour gehen zu wollen (um dann bei Couch einzusteigen und recht oft auf Tour zu gehen). Das Konzept von Ms John Soda erinnerte dann auch etwas an das von Lali Puna: Sich einen der Acher-Brüder schnappen und aus dem Schalfzimmer-Homerecording-Projekt eine richtige Band machen. Wobei Ms John Soda rockiger waren. Insbesondere 'Go Check' sollte in jeder Indie-Disco jeden Tag laufen.
8. The Long Blondes - Someone To Drive You Home (2006, Rough Trade RTRADLP364) Was für ein großartiges Musikjahrzehnt die 00er Jahre waren: Es gab noch Bands, die innerhalb von gut zwei Jahren sieben tolle 7"es veröffentlichten. Vier davon, 'Giddy Stratospheres', 'Separated By Motorways', 'Weekend Without Makeup' und 'Once And Never Again', sind auf dem Debütalbum enthalten, aber auch die weiteren acht Albumtracks haben Hitqualität.
9. Hellfire - Heaven Don't Want You? Hellfire Will Take You! (2003, Kollaps 62/Hausmusik hm 062) Eine weitere tolle 00er-Jahre-Band. Eine LP, relativ viele (und gute) Konzerte, dann wieder in der Versenkung verschwunden.
10. Carminho - Maria (2018, Parlophone 0190295509897) Meine lieblings-Fadosängerin hatte schon auf dem Vorgängeralbum die Grenzen des Fado überschritten und Lieder des Brasilianers Tom Jobim gesungen. Auf 'Maria' kommt auch mal die e-Gitarre zum Einsatz. Alte Fados haben auch ihren Platz, aber besonders die Eigenkompositionen stechen heraus.
Hach, schön, die Gustav-Platte hier zu sehen. Der Track "Rettet die Wale" ist so ein bischen das "Taubenvergiften im Park" unserer Generation, oder? Hab sie damals bei einem bezaubernden Auftritt live im Pudel gesehen, das war toll.
die große konsensliste. finde ich von 1 - 9 alles toll. hellfire hab ich schon lange nicht mehr gehört, aber wird es in den nächsten tagen bestimmt werden. fado kenn ich gar nicht. werde ich auch mal reinhören. schade, dass man von gustav schon so lang nichts mehr hört. 3 mal hab ich sie live gesehen und es war immer toll.
Viel Tolles dabei, insbesondere Hellfires Kuscheln, großartig! Und warum zum Teufel erfahre ich erst 15 Jahre später von Gustav? Ganz großer Nachholbedarf.
Wunderbare Liste, mit dem Britpop-Mittelteil (in der weit gefassten Variante) rennst du bei mir offene Türen ein, Savages sind über alle Zweifel erhaben und auch Blumfeld wurden in ihrer für mich besten Phase erwischt. Besonders freue ich mich aber, dass noch jemand meine Liebe zu den Long Blondes teilt. So viel Schönes auf der Liste, da bin ich geneigt, Gustav eine zweite (oder wäre es schon die dritte?) Chance zu geben.
Mama, warum Bekomm ich's immer so Wie ich es bestellt hab?
Gustav habe ich seinerzeit die Chance gegeben, aber irgendwie hat es da nicht klick gemacht. "We Shall Overcome" zeigt mir auch auf warum, aber der zweite Song mit seiner Spoken Word Monotonie gefällt mir dann aber doch richtig gut. Und yeah, die Savages! Ihre beiden CDs stehen bei mir im Regal, wäre schade, wenn da nichts mehr kommen würde.
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Seltsam, mal in einer Liste so viel Übereinstimmung zu finden, ich dachte schon, die des Kings sei die Krönung.
Kenne nur 1, 9 und 10 nicht.
Gustav klingt recht interessant. Sollte ich mich wohl mal mit beschäftigen. Hellfire klingt verzichtbar. Carminho klingt ganz wunderbar. Insofern vielen Dank für die Tipps.
002 Dazu möchte ich ergänzend bemerken, dass sich das schon ein bisschen sehr schön und ganz wunderbar nach Siouxsie anhört! I Love It!
003 Ohne Worte.
004 Tja, da fragen sich sicherlich viele, wie sie dieses eine wirklich umwerfende Album punktgenau in die Zeit und Landschaft/Hörerschaft gepflanzt haben ;-)
005 hat bei mir inzwischen ein bisschen verloren.
006 Für mich ist Albarn erst nach dem Battle mit Oasis, welches er und seine Bhört and aus meiner Sicht klar verloren haben, zu einer wirklichen musikalischen Größe gereift. Girls & Boys würde ich jetzt auch nicht unbedingt für einen Top-Hit der 90er halten. Ok, das sich jetzt eventuell ein wenig abwertend an. Park Life ist natürlich trotz all dem ein wunderbares Album.
007 Soda auf einzelnen Titel gerne, auf Albumlänge eher nicht.
008 Großartiges Album!!! Seltsam, dass ich meine unheimliche Begeisterung für dieses Album mit einem gewissen @Berthold Heisterkamp teile ;-) ;-) Schade, dass dieser für mich so hoffnungsvollen Band durch den tragischen Ausfall von Cox ein so schnelles Ende bereitet wurde.
Gustav ist zwar noch musikalisch noch aktiv (und hat sogar letztes Jahr mal in Augsburg gespielt), aber wohl fast nur noch im Theater-Kontext. Die zweite, ebenfalls tolle, LP, "Verlass die Stadt" ist von 2008 und die dritte, die sie im Film "Oh Yeah, She Performs!" 2012 ankündigte, kam nie.
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